Genauer müsste es heißen: Fragmente einer Rezeption(sgeschichte) Becketts, denn so ist nicht nur von Beckett, sondern auch von Becketts Wirkung auf mindestens einen seiner Leser die Rede.
Ich habe im Studium der Literaturwissenschaft in Hamburg bei Karl Robert Mandelkow einst ein Seminar besucht über die Rezeption von Goethes Wahlverwandtschaften, bei dem es um die Interpretation von Goethes Werk im Horizont der jeweiligen Zeit ging und um den beschränkten Horizont seiner Interpreten.
Rezeption ist aber für mich nicht nur Interpretation, sondern umfasst auch den Versuch, die „Einsichten“ eines Schriftstellers, eines Philosophen im eigenen Leben umzusetzen, zu realisieren.
Im Essay über Proust schreibt Beckett: Kunst sei die Apotheose der Einsamkeit. Da ich seit meiner Kindheit Schriftsteller hatte werden wollen, weil ich gern und viel las und Literatur liebte und weil ich diesen Wunsch noch nicht aufgegeben hatte, zog ich 1971 von Hamburg aufs Land, nach Emmelndorf, das ganz nahe am Bahnhof Hittfeld sich befand. Ich wohnte dort die meiste Zeit allein in einem Haus, und mein Schlaf- und Arbeitsraum ging Richtung Süden auf Felder und auf die Eisenbahnstrecke Hamburg – Buchholz hinaus.
Ich hatte also endlich die idealen Arbeitsbedingungen, die nötige Ruhe, die Abwesenheit von Ablenkung, um konzentriert schaffen zu können. Doch dieses Gefühl von Idealität, dieses Gefühl von Arbeitsidylle, erwies sich als trügerisch: Ich entdeckte, dass ich leer war, dass mir Lebenserfahrung fehlte, Menschenkenntnis. Hinzu kam, dass mir die Einsamkeit zu schaffen machte, ich fing an, zu zerfallen, litt an einer Art seelischer Auszehrung: Wenn ich nach Hamburg musste, projizierte mein Gehirn auf Menschen in meiner Umgebung die Gestalten von Freunden, sie wie ein Verdurstender in der Wüste sich eine wasserreiche Oase imaginiert.
Ich musste die Radikalität, mit der ich Becketts Diktum, Kunst sei die Apotheose der Einsamkeit, schließlich aufgeben, und zog nach einem drei viertel Jahr Emmelndorf nach Eppendorf, zurück nach Hamburg.
Damals hatte ich auch noch eine intensive Korrespondenz mit Bernd Heinz, einem Freund aus Kassel, den ich mit meinem Beckett-Fieber angesteckt hatte: Ein Grundthema beherrschte unsere mit der Maschine getippten Briefe: Es ist schon alles gesagt, es gibt nichts mehr zu sagen. Es war schon erstaunlich, über welchen langen Zeitraum es uns gelang, diese Tautologien uns immer wieder gegenseitig mitzuteilen. Ich erinnere mich schwach daran, dass dieses Auf-der-Stelle-Treten mir irgendwann auf die Nerven ging. Nervig waren aber auch all jene, die mit Beckett wenig anfangen konnten, wie zum Beispiel Kuno Lorenz, einer der Philosophieprofessoren in Hamburg.
An ein Statement von mir erinnere ich mich noch deutlich. Als Beckett den Nobelpreis erhielt, erschien sehr rasch über ihn eine roro-Monographie (die Verlage hören ja immer die Flöhe husten), in der wurde bewundernd hervorgehoben, er, Beckett, habe schon in jungen Jahren fünf Sprachen gesprochen. Meine Reaktion auf diesen Satz war: Na und, was soll das heißen? Dass er in fünf Sprachen das selbe hat sagen können?
Vielleicht war das damals ja eine ganz dumme Bemerkung?