DIE SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT LÄSST IN EINER GROSSEN, EINDRÜCKLICHEN AUSSTELLUNG DIE WELT DER PARISER BOHÈME LEBENDIG WERDEN
ESPRIT MONTMARTRE. DIE BOHÈME IN PARIS UM 1900
7. Februar – 1. Juni 2014 Pressevorbesichtigung: Donnerstag, 6. Februar 2014, 11 Uhr
Nicht ohne Grund schrieb ein zeitgenössischer Kritiker in den 1890er-Jahren über den Montmartre in Paris: „Das Viertel ähnelt einem riesigen Atelier.“ Bedeutende Künstler wie Edgar Degas, Pablo Picasso, Henri de Toulouse-Lautrec oder Vincent van Gogh lebten und wirkten in dem Viertel. In einem bislang ungeahnten Realismus entwarfen sie einprägsame Bilder einer Zeit, die schonungslos die Kehrseiten der schillernden Belle Époque vor Augen führten. Mit diesen bis heute einzigartigen Arbeiten prägten sie die Kunstgeschichte des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts maßgeblich. Ab 7. Februar 2014 präsentiert die Schirn Kunsthalle Frankfurt nun erstmals mit über 200 Werken eine Gruppenausstellung, in deren Zentrum das Stadtviertel Montmartre mit seinen Geschichten und Protagonisten steht. Verschiedene Phänomene werden in inhaltlich gegliederten Sektionen untersucht: „Der Montmartre – ein dörfliches Paris“ präsentiert stimmungsvolle Ansichten der Topografie des Ortes. Die Ausstellung zeigt die „Cafés, Absinthtrinker und Varietés“ und beschreibt die Darstellung von „Modellen, Tänzerinnen und Prostituierten“. Auch der „Traumwelt Zirkus“ ist eine Sektion gewidmet. „Montmartre als Ort der Außenseiter und sozialer Veränderungen“ stellt die Bevölkerung des Stadtteils vor, die Arbeiter, Bettler, Clochards und Wäscherinnen, aber auch jene, die in dieser politisch wie gesellschaftlich aufwühlenden Zeit demonstrierten. „Das Netzwerk der Künstler und Kunsthändler“ verdeutlicht den gemeinsamen künstlerischen Austausch und das Erblühen des Handels im Viertel. Mit dem „Plakat als neue Kunstform“ und den Illustrationen in Zeitschriften befasst sich die letzte Sektion. Beginnend etwa um 1885 spannt die Präsentation den zeitlichen Bogen bis zum Ersten Weltkrieg, als die meisten Künstler auf den südlichen Montparnasse umzogen. Der Montmartre galt aber für viele Jahre als Mikrokosmos für ein künstlerisches Selbstbild, das mit Henry Murgers Roman Scènes de la vie de Bohème (1847–1849) einen zunächst literarischen Ausdruck fand. Er zog aber bald viele Künstlerinnen und Künstler an, die sich – obwohl oft aus großbürgerlichem Elternhaus stammend – bewusst für ein Leben als ärmliche Bohemiens am Rande der Gesellschaft entschieden. Dieses neue Selbstverständnis als freiwillig-unfreiwillige Außenseiter spiegelten sie besonders realistisch und eindrücklich in ihren Kunstwerken wider. Die Ausstellung versammelt herausragende Gemälde und Arbeiten auf Papier, historische Fotografien, Plakate und Grafiken aus nationalen und internationalen Museen und Privatsammlungen, wie dem Musée d’Orsay in Paris, der Tate Gallery in London, dem Van Gogh Museum in Amsterdam, dem Kunsthaus Zürich, dem Museu Picasso in Barcelona und dem Museum of Modern Art in New York. Mit Werken von insgesamt 26 Künstlern wie Pierre Bonnard, Ramon Casas, Edgar Degas, Kees van Dongen, Vincent van Gogh, Max Jacob, Marie Laurencin, Pablo Picasso, Henri de Toulouse-Lautrec, Suzanne Valadon und weiteren, weniger bekannten, aber deshalb nicht weniger faszinierenden Künstlern wird die historisch einmalige Atmosphäre am Montmartre um 1900 erlebbar.
„Esprit Montmartre. Die Bohème in Paris um 1900“ wird durch Amundi gefördert und erfährt zusätzliche Unterstützung durch die Georg und Franziska Speyer’sche Hochschulstiftung. Max Hollein, Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt über das Projekt: „Mit ‚Esprit Montmartre‘ eröffnet sich den Besuchern ein beeindruckendes Panorama der lebendigen und wirkungsreichen Kunstszene in Paris um 1900. Montmartre war ein Ort, an dem mit höchster künstlerischer Kreativität ein bewegendes Abbild der Gesellschaft skizziert wurde – ein Ort, der namhafte, aber auch fast vergessene Künstlerpersönlichkeiten hervorbrachte. Ihnen allen ist gemein, dass sie mit ihren Kunstwerken die europäische wie internationale Kulturgeschichte maßgeblich prägten. Ihre Werke nun in dieser Dichte in Frankfurt sehen zu können, ist eine Seltenheit und ein besonderes Geschenk für die Besucher.“ Die Kuratorin Dr. Ingrid Pfeiffer ergänzt: „Indem sich die Ausstellung aus kunstsoziologischer Perspektive der Bohème am Montmartre nähert und den gesellschaftlichen und historischen Kontext mit berücksichtigt, wird deutlich, wie stark sich Mythos und Legende des Ortes von der eigentlichen Realität unterschieden. ‚Esprit Montmartre‘ zeigt das wahre Leben der Menschen abseits der bekannten Klischees. Berührend, sinnlich und aufrüttelnd sind die Werke der Künstler, die mit ihren Sujets und Bildideen, Materialien und Stilen die künstlerischen Entwicklungen der Moderne wesentlich vorauszeichneten.“ Montmartre, benannt nach dem gleichnamigen Hügel, gehörte seit 1860 zum Stadtgebiet von Paris. Das Viertel bot eine kontrastreiche Gegenwelt zum mondänen Paris mit seinen von dem Stadtplaner Georges-Eugène Haussmann radikal systematisierten Straßen, breiten Boulevards und großen Avenuen. Mit seinen stillgelegten Steinbrüchen, alten Mühlen, Gärten und brachliegenden Flächen sowie dem Elendsviertel, dem „Maquis“, hatte es sich einen eher ländlichen Charakter bewahrt. Der Montmartre bildete den künstlerischen Nährboden für Maler gleichermaßen wie für Dichter, Literaten und Komponisten wie Paul Verlaine, Jacques Offenbach oder Erik Satie. Sie alle fanden dort billigen Wohnraum: So bewohnten viele von ihnen zusammen mit Schauspielern, Wäscherinnen und Näherinnen das wohl bekannteste Ateliergebäude, das Bateau-Lavoir. Die oftmals in den Bildern nicht nur zur Schau gestellte Armut war gleichsam Teil einer bohemehaften Selbststilisierung, die mit dem Bedürfnis nach individueller und künstlerischer Freiheit einherging. Im Viertel entdeckten die Künstler bildwürdige Themen und brachten durch ihren persönlichen Blick ungewohnte Sichtweisen in ihre Malerei. Die Ausstellung der Schirn versammelt stille Stadtlandschaften des Montmartre wie Vincent van Goghs (1853–1890) „Montmartre, derrière le Moulin de la Galette“ (1887, Van Gogh Museum, Amsterdam). Van Gogh, der mit seinem Bruder Theo in dem Viertel lebte, verabscheute das städtische Treiben und fand im dörflich wirkenden Montmartre ein beliebtes Sujet. Auch der französische Maler niederländischer Herkunft Kees van Dongen (1877–1968), der sich 1899 in Paris niederließ und als Illustrator zahlreicher Zeitungen etablierte, schuf anmutige Ansichten des Viertels. In seinen Werken thematisiert er vor allem die voranschreitende Verstädterung, die in Gemälden vom Bau der neobyzantinischen Basilika Sacré-Coeur besonders deutlich wird, darunter „Montmartre, Le Sacré-Coeur“ (1904, Nouveau Musée National de Monaco). Komplementiert werden die Ansichten von Arbeiten katalanischer Maler wie Santiago Rusiñol (1861–1931) und Ramon Casas (1866–1932).
Gleichsam sind in der Ausstellung beeindruckende Werke des jungen Pablo Picasso (1881–1973) vor allem aus der Blauen und der darauffolgenden Rosa Periode wie das Bild „Femme à la chemise“ (1905, Tate Gallery, London) zu sehen. Picasso lernte in Paris die Arbeiten von Henri de Toulouse-Lautrec und Théophile-Alexandre Steinlen kennen, die seinen Stil sowie seine Darstellungen von Armen und Benachteiligten in jenen frühen Jahren stark beeinflussten. In einer über achtjährigen Schaffenszeit in der rauen und elenden Umgebung des Montmartre entwickelte er Bildideen und Kunstformen, die für die Moderne des frühen 20. Jahrhunderts wegweisend werden sollten. Die Ausstellung widmet sich zugleich zwei herausragenden Künstlerinnen des Montmartre, Suzanne Valadon (1865–1938) und Marie Laurencin (1883–1956). Die unkonventionelle Bohemienne Valadon durchbrach als eine der ersten Frauen das traditionelle weibliche Rollenmuster, in dem sie sich von ihrer Rolle als Modell, Muse und Geliebte zahlreicher Maler, darunter Auguste Renoir und Henri de Toulouse-Lautrec, emanzipierte. Sie beobachtete die Maler, hörte ihren Gesprächen über Kunst zu und füllte Dutzende von Skizzenbüchern mit Zeichnungen. Es war Edgar Degas, der ihr Talent entdeckte und förderte. Valadons berührende Aktdarstellungen und ihre Selbstporträts, wie zum Beispiel das frühe „Autoportrait“ (1883, Centre Pompidou, Paris), werden in der Ausstellung präsentiert. Von der ursprünglich als Porzellanmalerin ausgebildeten Laurencin ist das spielerisch kubistische Gruppenbild „Apollinaire et ses amis“ (1909, Centre Pompidou, Paris), zu sehen. Die Künstlerin stellt sich zusammen mit ihren Freunden Fernande Olivier, Picasso und dessen Hund sowie ihrem Förderer Guillaume Apollinaire dar. Die einflussreiche Sammlerin Gertrude Stein erwarb dieses Bild und machte so die Künstlerin unter den Avantgardisten bekannt. Ein Großteil des Lebens im Montmartre spielte sich auf der Straße oder in den zahlreichen Cafés und Trinklokalen ab. Die Schirn stellt u. a. sozialkritische Bilder von Théophile-Alexandre Steinlen (1859–1923) vor, die Szenen in den Straßen des Viertels abbilden – darunter „Le 14 juillet 1895“ (1895, Musée de Petit Palais, Genève). Die Werke künden von harter Arbeit, sozialem Elend, emotionaler Gleichgültigkeit, aber auch individuellem wie kollektivem Aufbegehren. Die vielen Varietés, Cabarets und Zirkusveranstaltungen sowie die Vergnügungen in Bordellen und einschlägigen Lokalen halfen, den gesellschaftlichen Zwängen zu entfliehen. Kaffeehausszenen, die am Tisch sitzende und in ihr Glas stierende, stumpf und geistlos wirkende Männer und Frauen zeigen, gehören zu den häufigsten Darstellungen der Künstler am Montmartre. Gefolgt von opulenten Abbildungen des frivolen und leichten Lebens in den Varietés und Cabarets mit ihren Tänzerinnen und Prostituierten – u. a. festgehalten in Arbeiten des italienischen Malers Giovanni Boldini (1842–1931) wie „Scène de fête au Moulin Rouge“ (um 1889, Musée d’Orsay, Paris). Das Moulin Rouge, das Moulin de la Galette, das Chat Noir oder das Cabaret Au Lapin Agile waren Orte, die jegliche Art von Ausschweifung tolerierten. Mit unverklärtem Blick führen die Maler, allen voran Edgar Degas (1834–1917) und Henri de Toulouse-Lautrec, in ihren Bildern die Schattenseiten einer amüsierten Gesellschaft vor Augen. Die Schirn zeigt mit Degasʼ „Scènes de maisons closes“ (1875–1885, Privatsammlung) den glanzlosen Alltag in Pariser Bordellen. Er zeichnete Prostituierte erstmals nicht mit einem erotischen oder pornografischen Blick, sondern als selbstbewusste und selbstbestimmte Frauen. Für Henri de Toulouse-Lautrec (1894–1901) begann mit dem Auftrag, das Plakat für die Herbstsaison 1891 des Moulin Rouge zu gestalten, gleichsam seine erfolgreiche Beschäftigung mit der Plakatkunst. „Moulin Rouge: La Goulue“ (1891, Kunsthalle Bremen) wurde damals 3000 Mal in Paris plakatiert. Mit den Mitteln der Vereinfachung, verknappten Komposition, Fragmentierung, Bewegung und Überspitzung porträtierte Toulouse-Lautrec die ihn umgebende Gesellschaft. Das beeindruckende Netzwerk von Künstlern und Intellektuellen, Kunsthändlern und Galeristen wird ebenfalls in der Ausstellung thematisiert. Zu sehen sind Werke Amedeo Modiglianis (1884–1920), des wohl „letzten echten Bohemiens“ des Montmartre, wie Ludwig Meidner ihn nannte: Modigliani war mit zahlreichen Künstlern und Intellektuellen seiner Zeit befreundet, so auch mit Pablo Picasso und Guillaume Apollinaire, die er in den charakteristischen Bildnissen „Portrait de Picasso“ (1914/15, Musée Picasso, Antibes) und „Portrait de Guillaume Apollinaire“ (1915, Privatsammlung) verewigte. Der nicht unbedeutende Einfluss von Kunsthändlern wie Berthe Weill und Ambroise Vollard bleibt nicht unerwähnt. Weill war es, die Maler wie Pablo Picasso und Kees van Dongen entdeckte und durch Ausstellungen in ihrer Galerie förderte. Ambroise Vollard gilt als einer der wichtigsten Wegbereiter der sich formierenden Moderne. Vollards Bildnis von Félix Vallotton (1865–1925), „Portrait d’ Ambroise Vollard“ (1902, Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam), zeigt seine unbestechliche Urteilskraft und Kennerschaft.
KATALOG: Esprit Montmartre. Die Bohème in Paris um 1900 / Esprit Montmartre. Bohemian Life in Paris around 1900. Herausgegeben von Ingrid Pfeiffer und Max Hollein. Mit einem Vorwort von Max Hollein und Essays von Nienke Bakker, Markus A. Castor, Phillip D. Cate, Danièle Devynck, Anita Hopmans, Peter Kropmanns, Chloë Langlais, Vinyet Panyella, Robert McD. Parker und Ingrid Pfeiffer sowie Künstlerbiografien und einer historischen Karte mit Adressen von Ateliers, Vergnügungsorten, Galerien etc. von Michael Raeburn. Deutsche und englische Ausgabe, je 320 Seiten, ca. 320 farbige Abbildungen, 24 x 29 cm (Hochformat), Hardcover; Gestaltung: Kühle und Mozer, Köln; Hirmer Verlag, München, ISBN 978-3-7774-2196-4 (deutsch), ISBN 978-3-978-3-7774-2197-1 (englisch), ca. 30 € (Schirn), ca. 49,90 € (Buchhandel) ORT: SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT, Römerberg, D-60311 Frankfurt. DAUER: 7. Februar – 1. Juni 2014. INFORMATION: www.schirn.de, E-Mail: welcome@schirn.de, Telefon: +49.69.29 98 82-0, Fax: +49.69.29 98 82-240. EINTRITT: 10 €, ermäßigt 8 €, Familienticket 20 €; freier Eintritt für Kinder unter 8 Jahren. VORVERKAUF: Tickets sind im Online-Vorverkauf über www.schirn.de/tickets erhältlich. ÖFFENTLICHE FÜHRUNGEN: Di 17 Uhr, Mi 19 Uhr, Do 19 Uhr, Fr 11 Uhr, Sa 15 Uhr, So 11 und 17 Uhr. KURATOR: Dr. Ingrid Pfeiffer. KURATORISCHE ASSISTENZ: Lea Schleiffenbaum. GEFÖRDERT DURCH: Amundi. MIT ZUSÄTZLICHER UNTERSTÜTZUNG DURCH: Georg und Franziska Speyer’sche Hochschulstiftung. MEDIENPARTNER: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Scholz & Volkmer, ACHT Frankfurt, Journal Frankfurt, VGF. KULTURPARTNER: hr2 Kultur. MOBILITÄTSPARTNER: Deutsche Bahn. SPARPREIS KULTUR: Mit dem „Sparpreis Kultur“ innerhalb von 3 Tagen zur Ausstellung und zurück. Ab 39 EUR. Bis zu vier Mitfahrer sparen jeweils 10 EUR. Erhältlich unter www.bahn.de/kultur SOCIAL MEDIA: Zur Ausstellung kommuniziert die Schirn im Social Web mit dem HASHTAG: #espritmontmartre ONLINE-MAGAZIN: www.schirn-magazin.de FACEBOOK: www.facebook.com/Schirn TWITTER: www.twitter.com/Schirn YOUTUBE: www.youtube.com/user/SCHIRNKUNSTHALLE INSTAGRAM: @schirnkunsthalle PRESSE: Axel Braun (Leitung Presse/PR), Pamela Rohde (Pressesprecherin), Simone Krämer, Lara Schuh (Volontärin). SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT, Römerberg, D-60311 Frankfurt, TELEFON: +49.69.29 98 82-148, FAX: +49.69.29 98 82-240, E-MAIL: presse@schirn.de, www.schirn.de, www.schirn-magazin.de