Der Tag erglänzt für einen Augenblick – und dann von neuem die Nacht. Vortrag über Beckett vom April 2009

Mein Thema lautet existentielle und soziale Aspekte im Werk von Samuel Beckett.  Als Haupttitel habe ich einen Satz aus Warten auf Godot verwendet: Der Tag erglänzt für einen Augenblick und dann von neuem die Nacht. Diesen Satz läßt Beckett Pozzo sagen, es ist gleichsam seine Äußerung, bevor er mit Lucky endgültig von der Bühne abtritt.

Der vollständige Satz lautet: >>Sie gebären rittlings über dem Grab, the light gleams an instant, then it’s night once more.<< (89)

Nach einem kurzen Dialog zwischen Vladimir und Estragon, greift Vladimir die Bemerkung Pozzos noch einmal auf und ergänzt:

>>Rittlings über dem Grab und eine schwere Geburt. Von unten – aus der Grube heraus – legt der Totengräber zögernd (hinziehend) seine Geburts-Zangen an.<< (90)

Light gleams an instant. Im Endspiel fragt Hamm Clov: >>Did you ever have an instant of happiness?<<

Warten auf Godot schrieb Beckett zuerst in französischer Sprache, und zwar in der Zeit zwischen  Oktober 1948 und Januar 1949. Während 1949 für Beckett das  Licht noch für einen Augenblick aufleuchtet a light gleams an instant, ist in dem 1979 – also dreißig Jahre später – verfaßten Monolog „a piece of a monolog“  (Of An Old Artist with Coleridge) das Licht gänzlich verschwunden. Dort heißt es drastisch und knapp: birth was the death of him. Zwischen der Geburt und dem Tod ist nichts mehr.

Die existentiellen Aspekte in Becketts Werk, so wie ich sie verstehe, betreffen die Conditio Humana, also Bedingungen, an denen wir nichts ändern können, auf die wir keinen maßgeblichen Einfluss haben. Ein Beispiel für solche Konstituentien sei hier erwähnt: Kant zufolge vollzieht sich unsere Erkenntnis in Raum und Zeit. Wir können uns nicht außerhalb des Raumes, nicht außerhalb der Zeit stellen.  Das elementarste Ereignis für jeden einzelnen von uns im Raum und in der Zeit ist unsere Geburt und unser Tod. Zwar können wir diesen durch Manipulationen mit Hilfe der Pharmaindustrie hinausschieben, aber verhindern können wir ihn nicht.

Das Existentielle, auf das wir keinen Einfluss haben, das immer schon vor uns existiert, ist ein vom Menschen Nicht-Gemachtes, es ist –  in der Sprache der Philosophie – metaphysischer, ontologischer Natur. Ein kritischer Metaphysiker (ich glaube, ich muß kurz erläutern, was ich darunter verstehe: Metaphysiker ist für mich jemand, der den Menschen in kosmischen Dimensionen sieht, der ihn auf Gott, auf das Universum in negativen oder positiven Sinne bezieht. Woody Allen hat diese metaphysische Dimension, wenn er zum Beispiel im Stadtneurotiker sich als Schulkind sagen läßt, auf die Frage eines Psychiaters, warum er keine Hausaufgaben mache und sich weigere zu lernen: Das Universum expandiert, es bricht auseinander, wozu dann noch die Mühe.), ein kritischer Metaphysiker – wie Beckett – nimmt aber das Unveränderbare nicht einfach hin, er mischt sich ein und befragt die Schöpfung auf ihren Sinn, er urteilt über ihre Beschaffenheit und Qualität und kommt gegebenenfalls wie der rumänisch-französische Philosoph und Aphoristiker Cioran zu dem Schluß, daß diese Schöpfung, in der wir uns unentrinnbar befinden, verfehlt und daß es deshalb von Nachteil ist, überhaupt geboren zu sein. Wenn es im Leben aufwärts geht, dann allenfalls aus dem Jammertal hinaus, hinauf auf den Gipfel der Verzweiflung.

Sie kennen sicher die Geschichte von der Hose und dem Schneider aus dem Endspiel (erzählt von Nagg): Ein Engländer geht zu einem Schneider, weil er auf die Schnelle ein paar gestreifte Hosen für ein Neujahrsfest benötigt. Der Schneider nimmt Maß und bittet den Kunden, in vier Tagen wiederzukommen, dann wäre die Hose fertig. Vier Tage später entschuldigt der Schneider sich, er habe sich im Schritt vertan und müsse den Fehler verbessern. Und so vertröstet er den Engländer immer wieder aufs Neue mit immer neuen Eingeständnissen in immer neue Mängel. Schließlich verliert der Kunde die Geduld und er bellt den Schneider an: Gott verdamme sie in die Hölle, so eine Schweinerei, es gibt Grenzen. In sechs Tagen, hören sie genau zu, in sechs Tagen hat Gott die Welt erschaffen. Nichts weniger als die gesamte Welt – und sie sind nicht in der Lage innerhalb von drei Monaten eine Hose herzustellen?

Der Schneider erwidert mit Entsetzen in der Stimme und Abscheu in seinen Gesten: >>Ja, Sir, dann schauen sie sich doch die Welt an.<< Und er fährt fort, die Tonlage wechselnd, mit Stolz und Liebe in der Stimme: >>… und schauen sie zum Vergleich auf mein Werk, auf meine Hose.<<

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Ich muss hier eine kleine Zwischenbemerkung einflechten, weil mir immer wieder auffällt und ich das mit Bewunderung konstatiere, daß bedeutende Künstler über eine kritische Kraft verfügen, die dem unkünstlerisch, kleinbürgerlich angepassten Menschen fehlt.

Ich bin in den vierziger und fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts noch im deutschen Untertanengeist erzogen worden. Der Standardspruch meiner Erziehungsberechtigten war, vor allem auf meine Lehre nach der Grundschule bezogen: Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Und: Das beste ist, den Mund zu halten und die Faust in der Tasche zu ballen.

Diese Erziehung im Untertanengeist hat es sicherlich nicht nur mir über lange Jahre hinweg schwer gemacht, das Etablierte, Sanktionierte, den Mainstream und seine suggestive Macht zu kritisieren, geschweige denn, so etwas wie ein Gefühl der Gleichberechtigung gegenüber den Tonangebenden und Dominanten zu entwickeln.

Wenn es also, so vermute ich, vielen Menschen schwer fällt, sich gegen die Zumutungen von Machtmenschen und Machtstrukturen zu wehren, um so erstaunlicher finde ich es, wenn jemand eine derart starke Persönlichkeit besitzt, die ihn in die Lage versetzt, die Welt als Ganze, als Schöpfung in den Orkus zu wünschen. Aber möglicherweise ist es leichter, Gott zu kritisieren und ihm vorzuhalten, daß seine Schöpfung mißlungen ist, als einem Oberbürgermeister zu erklären, daß seine Politik falsch und im Verhältnis dazu seine mehrfachen Einnahmen zu hoch seien.

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Zurück zur Schöpfungskritik, die Beckett seinen Akteuren Hamm und Clov in den Mund legt. Diese leben in einer bunkerähnlichen Behausung, in der sich zwei hoch gelegene Fenster befinden, die nur über eine Leiter erreichbar sind. So erfahren wir als Zuschauer – ähnlich wie Hamm selbst, der ja bekanntlich in einem Rollstuhl sitzt und blind ist -, so wir erfahren durch Hamms Diener Clov, der ab und zu auf diese Leiter steigt, um nach draußen zu schauen, daß es keine Natur mehr gibt, daß die Welt grau geworden ist, so grau wie Blei.

Die Natur ist gänzlich verschwunden. Oder doch nicht ganz? Hamm muss sich plötzlich kratzen; er hat das Gefühl, gebissen worden zu sein, und fragt sich deshalb, ob es wohl noch Flöhe gibt. Wenn ja, dann wäre das eine Katastrophe, denn die Menschheit, die Evolution könnte dann von vorn beginnen. Und so ruft er Clov zu: >>Catch him, for the love of God. (…) let him have it.<< Mach ihn alle.

Gegen Ende des Stücks droht erneut die Gefahr, daß nach dem Tod von Hamm und Clov, Nell und Nagg, den Elterns Hamms, die in den Mülltonnen hausen, daß nach ihrer aller Tod das Leben weitergeht. Clov steht auf der Leiter und schaut mit einem Fernrohr nach draußen: >>Let’s see.<< Er sucht mit dem Telescope die Außenwelt ab, genauer gesagt, das, was von ihr übrig ist: >>Nothing …. nothing ….good … good ….nothing  …goo—- <<

Clov fängt an, das Telescope zu untersuchen, so als wäre in diesem eine Sinnestäuschung eingebaut:

>>Bad luck to it!<<

Hamm: >>More complications!<<

Clov entsetzt: >>Looks like a small boy!<<

Hamm sarkastisch: >>A small …. boy!<<

Clov: >>Ich gehe nach draußen um nachzusehen. Ich nehme den Fleischerhaken.<<

>>I’ll take the gaff.<<

Meiner Erinnerung nach soll es in der frühen Fassung des Stücks geheißen haben: Geh hin, ihn ausrotten. – Und Beckett soll diese Formulierung später gestrichen haben.

Wenn die Schöpfung verfehlt ist, dann ist Optimismus, Euphorie, Enthusiasmus oder einfach nur Hochstimmung ansich oder ihr gegenüber völlig unangemessen. Daß man Beckett diese Einstellung unterstellen kann, darauf weist eine weitere kleine Geschichte im Endspiel hin:

HAMM erzählt: >>Ich habe einen Verrückten gekannt, der glaubte, das Ende der Welt wäre gekommen. Er malte Bilder. Ich hatte ihn gern. Ich besuchte ihn manchmal in der Anstalt. Ich nahm ihn an der Hand und zog ihn ans Fenster. Sieh doch mal! Da! Die aufgehende Saat! Und da! Sieh! Die Segel der Sardinenboote. All diese Herrlichkeit! Pause. Er riß seine Hand los und kehrte wieder in seine Ecke zurück. Erschüttert. Er hatte nur Asche gesehen. Pause. Er allein war verschont geblieben. Pause. (…). Anscheinend ist der Fall . . . war der Fall gar keine . . . keine Seltenheit.<<

Zum Vergleich, da ich die Stelle bei Proust über die Weißdornhecke nicht gefunden habe, möchte ich Ihnen eine nicht minder berühmte schwärmerische enthusiastische Naturbeschreibung aus einem noch älterem Werk zitieren, aus Goethes Werther:

>>Eine wunderbare Heiterkeit hat meine ganze Seele eingenommen, gleich den süßen Frühlingsmorgen, die ich mit ganzem Herzen genieße. Ich bin allein und freue mich meines Lebens in dieser Gegend, die für solche Seelen geschaffen ist wie die meine. Ich bin so glücklich, mein Bester, so ganz in dem Gefühle von ruhigem Dasein versunken, daß meine Kunst darunter leidet. Ich könnte jetzt nicht zeichnen, nicht einen Strich, und bin nie ein größerer Maler gewesen als in diesen Augenblicken. Wenn das liebe Tal um mich dampft, und die hohe Sonne an der Oberfläche der undurchdringlichen Finsternis meines Waldes ruht, und nur einzelne Strahlen sich in das innere Heiligtum stehlen, ich dann im hohen Grase am fallenden Bache liege, und näher an der Erde tausend mannigfaltige Gräschen mir merkwürdig werden; wenn ich das Wimmeln der kleinen Welt zwischen Halmen, die unzähligen, unergründlichen Gestalten der Würmchen, der Mückchen näher an meinem Herzen fühle, und fühle die Gegenwart des Allmächtigen, der uns nach seinem Bilde schuf, das Wehen des Alliebenden, der uns in ewiger Wonne schwebend trägt und erhält; mein Freund! Wenn’s dann um meine Augen dämmert, und die Welt um mich her und der Himmel ganz in meiner Seele ruhn wie die Gestalt einer Geliebten – dann sehne ich mich oft und denke : ach könntest du das wieder ausdrücken, könntest du dem Papiere das einhauchen, was so voll, so warm in dir lebt, daß es würde der Spiegel deiner Seele, wie deine Seele ist der Spiegel des unendlichen Gottes! – mein Freund – aber ich gehe darüber zugrunde, ich erliege unter der Gewalt der Herrlichkeit dieser Erscheinungen.<<

Aber – im Gegensatz zu diesem von der Natur überwältigten Maler – sieht der Beckettsche anstelle ihrer Schönheit nur Asche und selbst in dieser keinen Gott, keinen Allmächtigen am Werk. Hamm sagt: >>The bastard! He doesn’t exist!“  Sagen sie das einmal als katholischer Bischoff im Beisein des Papstes. Vemutlich würde man – im Gegensatz zu dem Holocaustleugner Williamson – sofort exkommuniziert.

Diese düstere Sicht des mit Hamm befreundeten Malers auf die Natur und die Welt wird als das eigentlich Normale bezeichnet (>er allein war verschont geblieben<), oder sollte man sagen, als die einzig realistische Sicht auf alles und auf die Wiedergeburt der Natur im Frühling.  Es mag zwar allem Anfang dem Scheine nach ein Zauber innewohnen, aber schaut man genauer hin, erkennt man im Schönen den Beginn des Schrecklichen, wie Rilke es in den Duineser Elegien formulierte.

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Es versteht sich von selbst, daß man diesen düsteren Blick und das damit einhergehende Verständnis von Normalität nicht teilen muß. Wenn wir auch nicht ins Schwärmen verfallen, wie Werther, so sind wir vielleicht doch positiv berührt beim Anblick einer wieder einmal aufblühenden Natur. Als ich letztes Jahr Ende Juli vom Genfer See wieder zurück nach Deutschland fuhr und vorbeikam an den vielen Gärten und Obstplantagen, hatte ich das Gefühl, wir leben in einem Paradies und die Geschichte unserer Vertreibung daraus ist ein Ammenmärchen, schlimmer noch, eine Lüge, die sich die abendländische Zivilisation seit Jahrtausenden eingeredet hat. Und weil wir glauben, wie wären aus dem Paradies vertrieben worden, muß die Welt unentwegt verbessert werden, und zwar dadurch, indem man sie zerstört durch ständig neue Erfindungen und Eingriffe. Von Profitinteressen a la Monsanto ganz zu schweigen.

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Zurück zu Beckett: Beim Schreiben dieses Vortrages fand ich eine sehr bemerkenswerte Seite im Internet >The Online Journal< von >Rhys Tranter<, eine Seite, die Tranter mit dem Namen des bereits erwähnten Beckett-Textes überschreibt: A Piece of Monologue. Bei Tranter findet sich ein Zitat, das ich infolge meiner schlechten englischen Aussprache lieber übersetzt zitieren möchte. Tranter hat es einem Buch des amerikansichen Literaturwissenschaftlers Enoch Brater entnommen, der an der Universität von Michigan lehrt. Der Titel des Buches lautet: „The Essential Samuel Beckett: An Illustrated Biography“.

Hier das Zitat: >>An einem wunderschönen sonnigen Morgen, Mitte der 60er Jahre, war Beckett auf dem Weg durch Regent’s Park zum Lord’s Cricket Ground. Er war eigens von Paris nach London gereist, um das Testspiel zwischen England und Australien zu sehen.  Beckett wohnte im  Haus seines Freundes und Herausgebers John Calder hinter der Wigmore Street. John Gibson, einer der irischen Direktoren von BBC  Radio, erinnerte sich, wie enthusiastisch der Dramatiker angesichts der  grünen Bäume und des Gesangs der Vögel war, wie sehr er das Zusammensein mit wirklich guten  Freunden bei strahlend blauem Himmel genoß. Einer der Anwesenden bemerkte: „Ja, an einem solchem Tag ist es doch gut am Leben zu sein, to be alive.“<< Beckett antwortete darauf: >>So weit würde ich allerdings nicht gehen.<<

>>Well, I wouldn’t go as far as that<<

Für mich ist diese Bemerkung Ausdruck einer reflektierten Selbstwahrnehmung, Ausdruck eines Zweifels über die Tragfähigkeit der eigenen Freude, eine Relativierung des momentanen Glücksgefühls.

Ein Kind, das aus den großen Ferien von einer lieben Tante nach Wochen zurückkommt, erfüllt von den Erlebnissen auf dem Bauernhof dort. Es kommt nach Hause, niemand ist da. Das Kind schläft auf dem Sofa ein und wird wachgeprügelt. Der Grund dafür tut hier nichts zur Sache, aber wem derartiges in seiner Kindheit widerfährt, dem sind alle Glückserlebnisse vergällt, im Glück ist immer schon die Befürchtung enthalten, es könnte gleich oder bald die Katastrophe folgen. Beckett, so wird berichtet, habe eine glückliche Kindheit gehabt, für ihn, so scheint es, ist seine Bewertung des Lebens, der Welt, der Schöpfung nicht abhängig vom Zufall einer glücklichen oder unglücklichen Kindheit.

Ob objektivierendes Denken helfen kann, eine – in Anführungszeichen – „gerechte“, „ausgewogene“ Sicht auf die Wirklichkeit zu gewinnen, wäre angesichts des Mißtrauens von Beckett gegenüber dem eigenen Enthusiamus zu fragen. Was soll man tun, wenn andere den Zweifel in die Tragfähigkeit beglückender Momente nicht teilen, sondern einen mit ihrem strahlenden Optimismus mitreissen wollen? Als ich 1967 mein erstes Referat über Beckett gehalten habe, und zwar am Hessenkolleg in Kassel, wurde Becketts Essay über Proust für mich zu einer Art Bibel. In diesem Essay findet sich ein Motiv, das ich bereits erwähnt habe, nämlich, daß wir der Zeit unterliegen, der Zeit als Konstituens unserer Existenz, dem wir uns nicht entziehen können. Beckett schreibt mit Hinblick auf Proust: „Prousts Geschöpfe sind … Opfer des vorherrschenden Umstandes und der vorherrschenden Bedingung – Zeit (…). Opfer und Gefangene. Es gibt kein Entrinnen vor den Stunden und Tagen. Weder vor dem Morgen noch vor dem Gestern. Es gibt kein Entrinnen vor dem Gestern, weil das Gestern uns deformiert hat oder von uns deformiert worden ist. Der Modus ist unwichtig. Die Deformation hat stattgefunden.“

Als ich zwei Jahre später, ich war mittlerweile Stundent an der Kunsthochschule in Hamburg, diese Stelle einem bereits examiertem Maler vorlas, der wiederum Jahre später Ausbilder für die anthroposphischen Waldorflehrer wurde, als ich ihm 1969 diese Stelle vorlas, nannte er Beckett einseitig und korrigierte ihn sofort, und zwar mit der Begründung, daß Leiden und Erschütterungen nicht nur Deformationen sind, sondern diese hatten für ihn bildende Kraft: aus dem Erleiden lernen wir, Leiden setzt das Denken im Sinne einer Vertiefung der Persönlichkeit in Gang. Leiden desillusioniert und kann dazu führen, sich von allem, was als trügerischer Halt bezeichnet werden kann, zu verabschieden. Man muß nicht gleich die gesamte Theodizee bemühen, die theologische Sinnstiftung des Elends in der Welt, man kann sich auch mit der Christologie begnügen, derzufolge das Kreuz Bedingung der Auferstehung ist. Oder wie Luther es formulierte: das Kreuz repräsentiert eine Bewegung und Entwicklung >sub specie contraria<, Durch-das-Gegenteil-Hindurch. Damit ist eine Dialektik formuliert, in der eine tragische Dimension aufscheint: die menschliche Persönlichkeit wird erst dann ganz Mensch, wenn sie Leid erfährt, wenn sie es verarbeitet, um – wie der Phönix aus der Asche – sich wieder zu erheben. In Becketts „All That Fall“ , in diesem Radio-Play von  1957, fällt folgender Satz in der Unterhaltung zwischen Mr. und Mrs. Rooney: „Wir hätten Sixpence sparen können, aber mit was für einem Aufwand!?“  Dieses hier angedeutete Mißverhältnis zwischen Mühe, Anstrengung und Ertrag liese sich übertragen auf das Verhältnis von Glück und Leid, denn statistisch gesehen, fällt die Glücksbilanz mager aus. Zu fragen wäre deshalb: Ist es im Schöpfungsplan vorherbestimmt – oder: sind wir genetisch so programmiert -, daß wir um einiger Glückserfahrungen willen all den Schmerz und die Mühen der Ich-Werdung und all das Elend auf uns nehmen müssen, das allein schon darin besteht, so Hamm, daß im Anfang schon das Ende liegt. >>The end is in the beginning and yet you go on.<<

>>We are on earth, and there is no cure for that.<< (das universum expandiert, es bricht auseinander, wozu dann noch die mühe. Woody allen)

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Bei Beckett, anders als bei Goethe, finden wir nicht den Trost des „Wer immer strebend sich bemüht, den werden wir erlösen“.

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Was fangen wir aber mit der verfehlten Schöpfung und mit uns selbst an? Diese Frage führt vom Allgemeinen zum Besonderen, zum Unterschied, den die Philosophie macht, zwischen Sein und Seiendem. Im Endspiel gibt es eine Stelle, in der Beckett mit dieser philosophischen Elementardifferenzierung sein ironisches Spiel treibt, wobei er vom Besonderen zum Allgemeinen geht, Clov dann bis zum Universum und Hamm wieder zurück.

Hamm zu Clov: You stink already. The whole place stinks of corpses.

Clov: The whole universe.

Hamm (ärgerlich): To hell with the universe! (Pause.) Think of something.

Was aber ist dieses Etwas, dieses Besondere, Bestimmte, Einzelne? Um eine kurze Antwort auf diese Frage zu versuchen, scheint es mir sinnvoll, den einige Zeilen weiter oben zitierten Satz Hamms noch einmal aufzugreifen. Hamm sagte, das Ende ist schon im Anfang enthalten, the end is in the beginning. Ich möchte zunächst den englischen Theaterregisseur Sir Peter Hall zitieren, er sagte am Beispiel von >Warten auf Godot<: >>The great thing Beckett did was to say there is such a thing as metaphorical theatre. Godot’s a metaphor for religions, philosophy, belief, every kind of thing you can think of, but it never arrives.<< Wenn sich etwa Hamm von Clov auf der Bühne hin und her schieben läßt, um in der Mitte platziert zu werden, dann kann damit die Bühnenmitte gemeint sein, aber auch der homo mesura Satz des Protagoras, daß der Mensch das Maß beziehungsweise die Mitte aller Dinge sei. Man hat, ich verallgemeinere, bei Beckett immer eine materialistische, positivistische, handfeste Bedeutung, die Mitte eines Raumes, und eine metaporische, wenn nicht gar metaphysische. In den Beckett-Vorlesungen vor drei Jahren war immer wieder die Rede davon, was Beckett alles nicht gemeint hat oder was seine Requisiten alles nicht bedeuten. Ich halte das für eine grundfalsche Herangehensweise, denn Becketts Sätze, vor allem im Endspiel und in Warten auf Godot sind eben derart vieldeutig, daß sich unter Godot die Fellachen die Landverteilung, die Gefängnisinsassen ihre Freiheit, die Polen das Ende der kommunistischen Herrschaft vorstellen konnten. Beckett wurde vor drei Jahren gegen Adorno zitiert, der Beckett für einen philosophischen Schriftsteller gehalten hat. Beckett, so sagt man, habe dies als eine unhaltbare Unterstellung zurückgewiesen. Die Deutschen, ich generalisiere erneut, haben die Eigenschaft, Tabu und Denkverbote aufzustellen, so daß jeder, der von der Philosophie herkommend, in Beckett philosophische Strukturen entdeckt, ein schlechtes Gewissen haben muß. Da muss dann erst der Londoner Freund und Verleger Becketts ein Buch mit dem Titel „The Philosophy of Samuel Beckett“  publizieren, damit sich die unphilosophischen unter den Hochschullehrern bequemen, die philosophischen Anteile in Becketts Werk zumindest einzuräumen.

Das „something“ , das Etwas, eine der Differenzierungen des Allgemeinbegriffs Existenz, auf die ich hinaus möchte, ist folgende: Beckett hat bekanntermaßen mit 24/25 Jahren Proust gelesen (diese Ausgabe steht, versehen mit Becketts handschriftlichen Anmerkungen im Archiv zu Reading) und einen auf Hochbegabung hinweisenden Essay verfaßt, in dem sich reichlich Einflüsse von Schopenhauer finden lassen, auf den ich hier allerdings nicht eingehen möchte, sondern auf etwas, daß für das Werk von Proust zentral ist und das über den Proust-Übersetzer Walter Benjamin bis hinein in die Kritische Theorie reicht. Es geht um den Schein des Schönen, um den Zauber und die Aura der Schönheit, die das Subjekt sollicitiert, es zum anderen hinlockt. Der Einfachheit halber beschränke ich mich auf die männliche Perspektive. Die Aura einer Person spricht zum Subjekt, in mir findet du das Absolute, in mir und durch mich erfüllen sich all deine Sehnsüchte und Wünsche. Ich erlöse dich von deinem Gefühl des Mangels ein für allemal und für immer und ewig. Proust beschreibt das unter anderem in Bezug auf Madame de Guermantes, die ihm wie eine Erscheinung des Absoluten vorkommt, als er sie zum ersten Mal in einer Allee auf sich zukommen sieht. Mit den weiteren und späteren Begegnungen vollzieht sich ein Prozess der Desillusionierung, an dessen Ende die Einsicht in die Banalität der Person steht. Man könnte sagen, die Natur hat, um die Fortpflanzung der Gattung Mensch zu garantieren, sich der sexuellen Triebkraft einerseits und diverser Tricks andererseits bedient, damit die Subjekte mit unwiderstehlich magnetischer Kraft sich gegenseitig anziehen.

Mag Natur, und wenn man den Menschen dazu zählt, auch der Intellekt, der in die Natur des Körpers eingebettete Geist, mag die Schöpfung an sich schon mißlungen sein, so wird sie noch übler im Zusammenspiel der Triebkräfte der Menschen.