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Daß nur noch Fragen blieben bei aller Unentscheidbarkeit dessen, wie wir das, was wir wahrnehmen, beurteilen, ist allerdings irreführend, denn Beckett der große Doppeldeutige: er ist nicht nur ein Meister der Ambivalenzen und Ambiguitäten, sondern eben auch ein Meister des Apodiktischen, der radikalen Urteile. Dem Thema der Ausstellung im Kunsthaus Baselland (THE ART OF FAILURE) entspricht eine gerade erschienene Dissertation von Gesa Schubert „Die Kunst des Scheiterns“.
Ich frage mich, worin dieses Scheitern bestehen könnte? Ist es ein bestimmtes Scheitern, etwa in dem Sinne, wie wir es gerade (2007) in Kassel bezüglich der documenta erlebt haben?
Ai Wei Wei errichtete eine Skulptur aus alten chinesischen Tempeltüren, eine Skulptur, die beim ersten heftigen Windstoß in sich zusammenfällt. Die Auepavillons stehen unter Wasser, der Mohn erblüht nicht zur Eröffnung, das Reisfeld funktioniert nicht.
Ich glaube, bei Beckett geht es weniger um das Mißlingen von einzelnen Handlungen, sondern es geht um ein prinzipielles Scheitern, so wie es um jenes grundlegende Warten geht, um ein Warten an sich und nicht um ein Warten auf etwas Bestimmtes. Das Warten ist uns von Geburt an mitgegeben, wie der Zellstoffwechsel. Genauer gesagt: Das Warten und Scheitern war schon vor uns auf der Welt, es existierte bereits, noch bevor wir geboren wurden.
Die zutreffendste Antwort, was mit Scheitern gemeint ist, gibt Beckett selber, und zwar in seinem Essay über Proust. Dieser Essay enthält nicht nur Reflexionen über die „Suche nach der verlorenen Zeit“, sondern er ist Programm für das spätere Schreiben von Beckett selber. Becketts Werke sind, so meine These, radikalisierter Proust.
Ich komme mit den folgenden Zitaten auf meinen Ausgangspunkt zurück, auf die Erfahrung unglücklicher Liebe als differentia specifica einer allgemeineren Erfahrung, nämlich der, daß alles Lebendige, also nicht nur wir Menschen, daß alles Lebendige genetisch darauf angelegt ist, sich zu ergänzen, sich zu komplettieren, sich zu paaren, sich fortzupflanzen, um die jeweils eigene Gattung zu erhalten. Jeder für sich allein ist sich selbst immer zu wenig, daß in ihm angelegte Ver-langen, sein Hunger, seine Gier, seine Bedürfnisse und sein Streben sind auf narzißtische Befriedigung aus. Und dieses Streben, so Proust und Beckett, findet in der Dimension der Zeit statt. Deshalb unterliegen wir einem „perpetuum mobile der Desillusionen“; der Lebensprozeß ist ein fortschreitender Entzauberungs- und Deformationsprozeß, so daß das Trachten von gestern gül-tig war für unser gestriges Ich, nicht für das heutige.“ So „sind wir enttäuscht über die Nichtkeit dessen, was wir so gern das Erreichte nennen.“
Beckett fragt, was denn nun das Erreichte sei, und er formuliert seine Antwort in der Sprache der Philosophie, zu deren Topoi das Subjekt-Objekt-Verhältnis gehört, also das von Ich und Welt, wobei das Subjekt durchaus das Objekt eines anderen Subjekts sein kann und umgekehrt.
Beckett sagt (Zitat): „Aber was ist das Erreichte? Die Identität des Subjekts mit dem Objekt seines Verlangens. Das Subjekt ist unterwegs gestorben – vielleicht mehrmals. (…) Selbst angenommen, durch eines jener seltenen Wunder der Koinzidenz, wenn der Kalender der Tatsachen parallel mit dem Kalender der Gefühle verläuft, würde es sich verwirklichen, daß das Objekt des Verlangens (im engsten Sinne dieser Krankheit) vom Subjekt erreicht wird, dann wäre die Kongruenz so per-fekt und der Zeitstand des Erreichten eliminierte so genau den Zeitstand des Trachtens, daß das Unvermeidliche um so aktueller erschiene.“
Mit anderen Worten: Wenn man erreicht hat, was man sich wünschte, wird der Zustand der Erfüllung derart zur Gewohnheit, daß das einst heiß Begehrte rapide an Wert verliert. Das Ge-fühl des Mangels wird wieder dominant. Oder anschaulicher formuliert: Wenn Sie einen anderen berühren und in dieser Berührung verharren, ist nach einiger Zeit diese Berührung nicht mehr fühlbar, man muß sich bewegen, diese Berührung lösen, sie erneut herbeiführen, um sie wieder spüren zu können. Die unio mystica oder die Einheit von Subjekt und Objekt hebt die Bedin-gung der Wahrnehmung dieser Einheit auf. Es bedarf der Differenz oder der Nicht-Einheit, um Einheit zu erfahren.
Wir leben überwiegend im Zustand dieser Nicht-Einheit, ohne aber die ersehnte Identität mit dem Objekt zu erfahren. Beckett formuliert es anschaulich so: Wir befinden uns in der Position von Tantalus, mit dem Unterschied, daß wir uns bereit finden, Tantalusqualen zu erleiden.
Hier wird schon früh bei Beckett deutlich – er hat diesen Essay mit 25 jahren geschrieben, also in einem Alter, in dem der Durchschnittsmensch noch in einer Art geistiger und seelischer Pubertät sich befindet -, es wird schon beim jungen Beckett deutlich, daß er in der Kraft, das Negative zu ertragen, daß er in dieser Kraft die eigentlich menschliche Tugend sieht. Becketts Denken zielt aufs Ganze, darauf, „das Unsichtbare und Undenkbare“ Wirklichkeit werden zu lassen, bei gleichzeitiger Erkenntnis, daß „ jede bewußte, intellektuelle Anstrengung, das Unsichtbare und Undenkbare als Realität aufzustellen, vergeblich ist.“
Und was unser Bedürfnis nach Erfüllung in der Liebe oder einfach nur unsere Abhängigkeit in-nerhalb menschlicher Beziehungen betrifft, so stehen wir innerhalb einer Subjekt-Objekt-Konstellation, bei dem, so Beckett, das Objekt unseres Verlangens „von uns unabhängig ist“: „Subjekt und Objekt sind zwei voneinander getrennte und immanente Dynamismen, die durch kein System der Synchronisation verbunden sind.“
Liebe, die erwidert wird, findet sich bei Beckett entweder nur in der Erinnerung wie in „Krapp’s Last Tape“, sofern man da von erwiderter Liebe sprechen kann (eher vom Glück eines Augen-blicks), oder als Karikatur, wie in „Malone“, als Macman die Pflegerin Moll in einem Heim ken-nenlernt. Macman ist bereits durch sein hohes Alter impotent, und Moll hat ihr Klimakterium längst hinter sich. Sie paaren sich in einem Anstaltsbett, Macman faltet sein schlaffes Glied zu-sammen und schiebt es wie ein Kissen in die dafür vorgesehene Körperöffnung von Moll. Diese ruft dabei aus: „Ach, hätten wir uns doch vor sechzig Jahren getroffen.“ Doch kurze Zeit später spürt Macman, wie Moll sich ihm bereits wieder entzieht.
In dem Roman „Murphy“ sagt der ehemalige Lehrer des Protagonisten, ein gewisser Herr Neary, zu Murphy: „Die Gunst Miss Dwyers zu gewinnen (…), und sei es auch nur für eine knappe Stunde, würde mir unendlich gut tun.“
Beckett kommentiert: >Solcher Art war Nearys Liebe zu Miss Dwyer: diese liebt nicht Neary, sondern einen Fliegerleutnant Elliman, der jedoch Miss Farren liebt, welche einen Pfarrer Fitt liebt, der einen gewissen Hang zu einer Mrs. West hat, die allerdings Neary liebt<.
Ähnliches findet sich zum Schluß hin in Woody Allens Film „Love and Death“ (Die letzte Nacht des Boris Grustschenko):
Zwei Frauen unterhalten sich in einem Zimmer, sie sprechen langsam, elegisch, so, als ob sie gar nicht anwesend wären (ab 00:47):
It’s a very complicated situation,
cousin Sonja.
Ich befinde mich in einer sehr komplizierten Lage, liebe Kusine Sonja.
I’m in love with Alexei. He loves Alicia.
Ich liebe Alexei, er aber liebt Alicia.
Alicia’s having an affair with Lev.
Alicia wiederum hat eine Affäre mit Lev.
Lev loves Tatiana.
Lev hingegen liebt Tatjana.
Tatiana loves Simkin.
Tatjana liebt Simkin.
Simkin loves me.
Simkin liebt mich.
I love Simkin,
but in a different way than Alexei.
Ich liebe Simkin, aber auf eine andere Art als Alexei.
Alexei loves Tatiana like a sister.
Alexei liebt Tatjana wie eine Schwester.
Tatiana’s sister loves Trigorian
like a brother.
Tatjanas Schwester liebt Trigorian wie einen Bruder.
Trigorian’s brother
is having an affair with my sister,
who he likes physically,
but not spiritually.
Trigorians Bruder hat eine Affäre mit meiner
Schwester,die er körperlich, aber nicht geistig liebt.
Natasha, to love is to suffer.
Natasha, Lieben heißt Leiden.
To avoid suffering, one must not love.
Um Leiden zu vermeiden, darf man nicht Lieben.
But then one suffers from not loving.
Dann aber leidet man, weil man nicht liebt.
Therefore, to love is to suffer.
Deshalb ist Lieben Leiden.
Not to love is to suffer.
To suffer is to suffer.
Und Nicht-Lieben ist Leiden.
To be happy is to love.
To be happy, then, is to suffer,
but suffering makes one unhappy.
Therefore, to be unhappy one must love,
or love to suffer,
or suffer from too much happiness…
I hope you’re getting this down.
Ich möchte niemals heiraten,
ich möchte am liebsten vorher schon geschieden werden.
I never want to marry.
I just want to get divorced.
Was Martin Esslin über Beckett sagte, nämlich daß dieser die menschliche Realität bloßgelegt habe, bis auf die Knochen, könnte auch bedeuten – und Woody Allen ist hier ein weiterer Kronzeuge -, daß die conditio humana oder der Code unserer Existenz aus Paradoxien besteht, aus einem Fundus von Unmöglichkeiten und verzweifelten Bemühungen. Wie wir uns auch drehen und wenden, welchen Weg wir auch wählen, das Unglück ist, wie jener Igel im Märchen, immer schon da.
Kafka formuliert es in seiner Erzählung „Der Untergang des Dicken“ so:
»Was sollen unsere Lungen tun«, schrie ich, schrie, »atmen sie rasch, ersticken sie an sich, an innern Giften; atmen sie langsam ersticken sie an nicht atembarer Luft, an den empörten Dingen. Wenn sie aber ihr Tempo suchen wollen, gehn sie schon am Suchen zugrunde.«