Mit „Eh Joe“, einem Fernsehspiel, und „I´ll go on“, dem Zusammenschnitt einer Romantrilogie, wurden zwei Stücke des Gate Theatre Dublin in Marl gezeigt. Ein sperriger, faszinierender Abend, nah dran an Becketts Denken und Fühlen.
Gerade eine halbe Stunde dauert „Eh Joe“. Es ist ein Fernsehspiel Becketts aus den sechziger Jahren. Das Stück „I´ll go on“ ist ein Zusammenschnitt einer Romantrilogie aus den fünfziger Jahren. Die Ruhrfestspiele zeigen einen Samuel Beckett-Abend, wie man ihn sonst nicht zu sehen bekommt. Zwei irische Schauspielstars in zwei überwältigenden Solostücken.
Zunächst „Eh Joe“: Ein alter Mann sitzt in einem kahlen Raum und hört einer Frauenstimme zu. Sie erinnert an Menschen, die ihn geliebt und Selbstmord begangen haben, an die Toten, deren Stimmen verstummt sind. Am Ende spricht auch die unbekannte Frau nicht mehr, der Mann bleibt allein zurück.
Für den armenisch-kanadischen Filmregisseur Atom Egoyan war Beckett die wichtigste Inspiration seines Künstlerlebens. Nun hat er mit Michael Gambon – bekannt als Professor Dumbledore in den späteren Harry-Potter-Filmen – das Fernsehspiel „Eh Joe“ auf die Bühne gebracht. Gambon sitzt hinter einer milchigen Gazewand, die Kamera zeigt sein Gesicht in Nahaufnahme, zoomt sehr langsam immer weiter hinein. Während sein Mund Worte formt, die er nicht aussprechen kann, und sich in den großen Augen Tränen sammeln, die nicht fließen. Der Tod wäre eine Erlösung, aber so einfach ist es nicht für Joe.
Donnernde Wortwasserfälle
Nach einer Stunde Umbaupause donnern Wortwasserfälle auf das Publikum herab. Seit 25 Jahren schon spielt Barry McGovern sein Beckett-Solo „I´ll go on“, einen Zusammenschnitt der Romantrilogie „Molloy“, „Malone stirbt“ und „Der Namenlose“ vom Beginn der fünfziger Jahre. Der unter anderem aus dem Film „Braveheart“ bekannte Schauspieler ist ein nüchterner Entertainer. McGovern kitzelt aus Becketts Texten die absurde Komik heraus, tempogeladen und gedankenschnell.
Ein Mann lebt im Zimmer seiner verstorbenen Mutter, wird zur Mutter, die ihn nie bei seinem richtigen Namen angesprochen hat. Er erinnert sich an Fahrradfahrten zur Mutter. Während einer wird er von einem Polizisten verhaftet, weil er am Steuer eingeschlafen sei. Später überfährt er einen Hund, doch der war schon todkrank, und sein Besitzer ist glücklich, dass ihm der Weg zum Tierarzt erspart bleibt. Das alles sprudelt Barry McGovern mit gnadenloser Präzision heraus. Beckett klingt hier oft wie sein skurriler Nachfolger Flann O´Brien.
Im zweiten Teil wird es ernster. McGovern liegt auf einem Katafalk, heißt nun Malone, nicht mehr Molloy und stirbt. Oder versucht es. Während durch seinen Kopf die Gedanken jagen. Am Ende steigert er das Sprechtempo an den Rand des Menschenmöglichen. Das ist nicht nur eine Virtuosennummer, denn im rasenden Taumel der Worte schimmert die Sehnsucht nach dem Schweigen durch, nach dem Tod. Doch der kommt nicht. Es bleibt dem Mann, der nun keinen Namen mehr hat, nichts anderes übrig als weiter zu machen. „I´ll go on.“
Klare Regiekonzepte
Beide Stücke des Gate Theatre Dublin werden sonst unabhängig voneinander gespielt. Auch das nur halbstündige „Eh Joe“. Die Ruhrfestspiele bringen sie zusammen in einem sperrigen, faszinierenden Abend, für den Beckett-Fans auch weite Reisen unternehmen sollten. Denn beide Aufführungen sind nah dran an Becketts Denken und Fühlen, nähern sich ihm mit klaren Regiekonzepten, die völlig unterschiedlich sind und zusammen ein Ganzes ergeben.
Im Lauf der Ruhrfestspiele, deren Motto diesmal „Inselreiche“ lautet, wird noch „Warten auf Godot“ mit Samuel Finzi und Wolfram Koch Premiere haben. Eine Hommage an den verstorbenen Dimiter Gotscheff, der Regie führen wollte, und eine Koproduktion mit dem Deutschen Theater Berlin, das auch seine „Endspiel“-Inszenierung nach Recklinghausen schickt. Beckett führt sein Publikum zu dem Moment, in dem das Ich verschwindet und die Worte verstummen. Hier, so glaubt er, beginnt die Wahrheit. Michael Gambon und Barry McGovern vermitteln eine Ahnung davon. Mehr kann Theater nicht erreichen.
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