Bericht über die Samuel-Beckett-Anlage im hr

Übernahme von der hr-Seite:

http://www.hr-online.de/website/rubriken/kultur/index.jsp?rubrik=5986&key=standard_document_50321817

11.12.2013

Fassadenkunst mit Beckett

„Probiert, gescheitert, macht nichts“

Aufmunterndes Beckett-Zitat an der Wand eines Supermarktes in Kassel:
Literatur-Nobelpreisträger Samuel Beckett lebte in den 20er Jahren in Kassel. Rund um sein Wohnhaus hat sich heute ein In-Viertel entwickelt, der Vordere Westen. Jetzt hat Künstler Werner Krömeke das Viertel mit Beckett-Versen verschönert.

Es sind die wilden 20er Jahre: Ein Liebespaar schlendert durch Kassels Straßen. Sie trägt eine grüne Baskenmütze, er eine Nickelbrille, Er, Sam, ist schlank, linkisch und verlegen. Sie, Peggy, ist etwas untersetzt, lebensfroh und schwatzt fröhlich drauf los. Sie zieht ihren verliebten Cousin mit sich. So hat es sich abgespielt, vor über 80 Jahren, als Samuel Beckett Kassel besuchte. Acht Mal soll er hier gewesen sein, wochen- und monatelang, erzählt Künstler Werner Krömeke: „Er hat dann eben auch Kassel die Stadt intensiv studiert, nicht nur die Parks. auch die Kneipen. Er muss ein sehr lebensfroher – heute würde man Dandy oder Playboy sagen – ja, toller Mann gewesen sein.“

Einprägsames Zitat in großen Lettern

Werner Krömeke ist Architekt und Bildender Künstler. Dort, wo Peggy und Sam durch die Straßen flanierten, hat er Zitate des berühmten Schriftstellers an die Hauswände gepinselt – nicht als Graffiti, sondern als von Stadt und Eigentümern genehmigte Kunstwerke. An der Wand eines Supermarktes prangt ein besonders einprägsames Zitat in großen Lettern auf Englisch: „Hier steht jetzt an der Wand: ‚Ever tried, ever failed, no matter. Try again, fail again, fail better‘.“ Ins Deutsche übersetzt: „Immer probiert, immer gescheitert, macht doch nichts. Versuche es wieder. Scheitere nochmal und scheitere besser.“

Ein seltsames Zitat für eine Supermarkt-Fassade. Dennis Spangenberg arbeitet im Supermarkt. Der junge Mann kannte Beckett vorher gar nicht, aber jetzt liebt er diesen Vers: „Ich finde, das motiviert einen auch. Wenn ich da lang laufe und das lese, das bedeutet ja, dass man es immer wieder versuchen soll. Das brauche ich auch für die Arbeit, das ist immer gut.“

„Traum von mehr bis minder schönen Frauen“

Immer probieren, immer scheitern, trotzdem nicht aufgeben – typisch Beckett. Der Ire war ein Meister des Depressiv-Düsteren mit sehr hintergründigem Humor, ein Pionier der modernen Literatur und des absurden Theaters. Sein berühmtestes Bühnenstücke „Warten auf Godot“ ist ein oft gespielter Klassiker. In Kassels Vorderem Westen ist ein ganzes Viertel nach ihm benannt, die Beckett-Anlage. Direkt nebenan hat er immer seine Peggy besucht.

Werner Krömekes Kunst gefällt nicht jedem im Viertel – mit dem Titel von Becketts erstem Roman etwa eckte er ordentlich an: „‚Traum von mehr bis minder schönen Frauen‘ – das wollte man nicht so gerne am Haus haben“, so Krömeke. Mit diesem Roman setzte Beckett seiner Peggy ein nicht ganz so schmeichelhaftes Denkmal. Die beiden stritten sich nämlich ziemlich oft und trennten sich schließlich. Nur drei Jahre später, 1933, starb Peggy an Tuberkulose. Eine tragische Geschichte, die heute selbst in Kassel kaum noch jemand kennt.

Von bedeutungslos bis cool

Die Bewohner der Beckett-Anlage sehen die Zitate an ihren Wänden mit gemischten Gefühlen: „Ist mal was anderes, ist ganz schön eigentlich“, sagt einer. Eine Bewohnerin bedauert: „Leider kann ich Ihnen jetzt nicht sagen, das hat mich unglaublich beeindruckt und das ist mir im Gedächtnis geblieben.“ Und ein weiterer fügt hinzu: „Das ist eher an den Haaren herbei gezogen“, während eine andere Bewohnerin dazu steht: „Das finde ich eigentlich cool. Ich finde das einfach toll.“

Beckett wieder ins Bewusstsein bringen

Am Ende des Spaziergangs steht Künstler Werner Krömeke im Innenhof von Peggys ehemaligem Wohnhaus, dort, wo Beckett ein und aus ging. Rote Backsteinfassaden – öde und abweisend sieht es hier aus, eine gute Kulisse wäre das für ein Theaterstück von Samuel Beckett. Werner Krömeke lässt sich nicht entmutigen. Viele Menschen wüssten zwar nicht, wer Samuel Beckett war, aber mit seiner Fassadenkunst wolle er den großen Schriftsteller wieder ins Bewusstsein bringen: „Dann eben auch packt man vielleicht mal die Kraft und sagt sich, da lese ich mal was von dem.“

Ein Beitrag von hr-Reporter Jens Wellhöner

—————————- Ende des hr-Beitrages —————————————

Ein Privatfoto von Jean-Boskja Missler:

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Ein Neubau an der Ecke Bodelschwinghstraße/Friedrich-Ebert-Straße enthält unter anderem den Drogerie-Markt von Rossmann. An der Seite, zur Bodelschwinghstraße hin , befindet sich diese Fassadenmalerei von Krömecke.

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