Snowpiercer – eine neue Endzeitvision

Wer Becketts Endspiel gesehen hat, muss Snowpiercer sehen, aber auch das wird die saturierten Mittelstandsbürger nicht dazu animieren, aufzuwachen.

Der Film läuft ab Morgen in den Kinos an.

Übernahme vom Deutschlandfunk:

Eine herausragende Besprechung von Hartwig Tegeler

„Snowpiercer“, basierend auf dem französischen Comic „Schneekreuzer“, läuft diese Woche im Kino an. Der südkoreanische Regisseur Bong Joon-ho hat mit Darstellern wie Chris Evans, Tilda Swinton und dem Urgestein John Hurt große Namen für seinen Film gewinnen können. Herausgekommen ist eine düstere Geschichte über die Zeit nach der Apokalypse, wenn die wenigen Überlebenden in einem Zug zusammengepfercht sind.

Im Lager, zusammengepfercht in einer extremen Existenzsituation, reduziert auf pure Existenz: Was machen die Menschen miteinander? Praktizieren sie Solidarität?

Oder wird der Mensch dem Menschen der sprichwörtliche Wolf? Die eine Sicht, die mit der Solidarität, macht den utopischen Blick auf die Welt, den Menschen, seine Verfasstheit aus. Die andere Sicht ist die dystopische.

„Die ewige Ordnung wird uns vorgegeben durch die allmächtige Maschine.“

„Snowpiercer“, ich will keine Radiozeit mit langem Herumreden verschwenden, Bong Joon-hos Film ist das Meisterwerk eines Science-Fiction-Films. Actionreich, spannend, visuell beeindruckend, aber auch verdammt klug und provozierend mit seinem nicht sehr hellen, hoffnungsvollen Blick auf den Menschen.

„Kennt euren Platz, und bleibt an eurem Platz!“

„Snowpiercer“ ist pure Dystopie.

Erster Schlag in die Magengrube, die uns der Film gleich am Anfang mit einer Schrifttafel vor der ersten Szene im Zug verpasst: Die Menschheit hat’s selbst verbockt mit Arroganz und Geoengineering. Ein in die Atmosphäre emittierter Stoff sollte die Erderwärmung mildern, hat aber in kürzester Zeit eine neue Eiszeit hervorgerufen. Nun gibt es keinen grünen, sondern nur noch einen weißen, eiskalten Planeten. Es gibt also kein Leben mehr. Nur eine Art bewegte Arche Noah: Ein Zug umkreist mit den letzten Überlebenden unentwegt, Jahr für Jahr, die Erde.

Vorne die Reichen, hinten die Armen

„Hält die Maschine an? Was dann? – [Kinder im Chor:] Dann kommen alle um. – Wenn die Maschine nicht mehr läuft? – Dann werden wir alle sterben. – Und wer kümmert sich um die Heilige Maschine? – Sir Wilford!“

Der „Snowpiercer“, der „Schneekreuzer“, den Wilford gebaut hat, dieses perpetuum mobile, das fährt und fährt mit Hunderten von Waggons, diese letzte Zuflucht ist eine brutale Klassengesellschaft; nicht eine mit einem Oben und Unten, sondern mit einem Vorne und Hinten.

„Also, wie ich Eingangs sagte, gehöre ich nach vorn an die Spitze. Ihr gehört ans Ende.“

Hinten das Getto der Armen, vorne die Waggons der Reichen, der Mächtigen.

„Zu Beginn wurde mit Hilfe der Fahrkarten diese Ordnung festgelegt. Erste Klasse, Economy und Schmarotzer wie ihr es seid.“

Die, die sich die teuersten Tickets leisten konnten, damals, als alles zu Ende ging, leben nun im Luxus und bestimmen alles, Nahrung, Trinkwasser, wer lebt, wer stirbt. Und halten die hinten in Schach. Wer aufbegehrt, muss zur Strafe ein Bein oder einen Arm aus einer besonderen Öffnung des Zuges in die eisige Kälte halten. Einige, da hinten im Zug, habe abstruse Prothesen.

Doch eines Tages beginnen die hinten aufzubegehren.

„Die haben keine Munition!“

Sie zetteln eine Revolte an. Curtis – Chris Evans – ist der Revolutionsheld, Gilliam – John Hurt – der weise Lenker im Hintergrund.

„Du bist immer noch entschlossen, es zu tun? – Natürlich, wir sind noch nicht mal in der Mitte. Du bist schon weiter gekommen als jeder andere.“

Gleichgewicht des Schreckens und der Barbarei

Die Dynamik, die Regisseur Bong Joon-ho nun in „Snowpiercer“ entfesselt, ist die der Vorwärtsbewegung. Von hinten nach vorne, da wo der Schöpfer des Zuges lebt.

„Ich habe es satt, dieser Protein-Scheiß hängt mir zum Hals raus.“

Wäre Bong Joon-hos Film utopisch, dann wäre „Snowpiercer“ mehr ein Revolutionsepos als eine Art Kammerspiel. Spielort ein Hunderte Meter langer Zug. Doch die Aufständischen und die Herrschenden, da vorne im Zug, sind enger miteinander verbunden, als wir es am Anfang des Films ahnen.

„Wir müssen alle an Bord dieses Zuges des Lebens an dem Platz verharren, der uns zugewiesen wurde.“

Curtis, der vermeintliche Revolutionsheld, ist geschockt, erschüttert und tief verzweifelt, als er erkennen muss, wie sehr der ganze Zug, wie das Vorne und Hinten in einer Art archaischem, aber scheinbar notwendigem Gleichgewicht des Schreckens und der Barbarei nicht neben-, sondern miteinander existieren. Was machen die Menschen, wenn sie in einer Extremsituation sind? Praktizieren sie Solidarität? Oder werden sie dem anderen um Wolf?

Wenn man aus „Snowpiercer“ kommt, möchte man nur eines wissen: Könnte der Mensch so sein? So böse? Ist er nicht ganz anders? Besser? Faszinierend, wie Bong Joon-ho es mit seinem Science-Fiction-Film schafft, uns eine unerträgliche Spannung zu bereiten, uns in eine bizarre Welt zu werfen, Action perfekt zu inszenieren, ja, aber gleichzeitig unseren Verstand anzuregen. Und doch neben all dem mit seinen verstörenden Bildern in uns auch eine emotionale Schicht zu berühren, vor der der Verstand hilflos ist. Denn wir kommen zutiefst beunruhigt aus diesem Film.

Wie gesagt, allein das Entrée, dass wir es selbst verbockt haben, das mit dem Klima. Und was ist danach? Nach der Apokalypse? Das Abschlussbild von „Snowpiercer“, zwei Menschen außerhalb des Zuges in der Eiswüste, dann der Eisbär, der sie gelassen anschaut, was bedeutet das? Hoffnung? Fragezeichen!

 

Hier mit einem Trailer in deutscher Sprache:

http://ohneumwege.blogspot.de/2014/03/snowpiercer-ein-kampf-auf-leben-und-tod.html

Klassenkampf vom Feinsten

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