„Watt“ lesen – Rückblende

Wollte ich ja schon längst – wie das halt so ist.

Mit vier anderen habe ich ja für die Kasseler Beckett-Gesellschaft über vier Wochen im Oktober und November „Watt“ vorgelesen. Montag bis Freitag jeweils um 17 Uhr im Antiquariat von Winfried Jenior – ein perfekter Ort für die Lesung. Davor und danach gab es Tee – hieß doch die Vorlesereihe „Beckett, Watt und Tee“ – und sicher freitags auch einen Schluck Whisky.

Zugegeben, ich hatte bis dahin „Watt“ nur angelesen und bin an ihm irgendwann gescheitert – zu diffus schien es mir vor Jahren, zu durcheinandrig. Aber nun gab es diese ‚Pflicht‘ vier Mal zu lesen – jeweils 13 Seiten, eine anderen Aufteilung hatten wir zwar versucht, aber das hätte zu sehr extremen Lesedauern geführt und wir wollten ja eine gewisse ‚Beständigkeit‘. Aber genau diese Strenge von 13 Seiten förderte eine besondere Herangehensweise bei der Vorbereitung. Denn entweder stöhnte man schon nach der fünften Seite oder ärgerte sich, dass man nicht bis Seite 17 lesen konnte, denn das hätte dem Abschnitt eine besondere Note gegeben.

Vorlesetechnisch ist „Watt“ eher anspruchsvoll, spätestens am Kapitel zwei. Wenn es dann zu den teils sich über Seiten erstreckenden Permutationen kommt, kommt schon leichte Verzweiflung auf, wie man das noch ‚interessant‘ vorlesen sollte. Einfach schnell runterleihern? mit übermäßiger Betonung? sachlich kühl? neutral? Jede Vorleseart ergibt eine eigene Note – und der Gewinn dieser Lesung bestand eben auch darin, dass es fünf Menschen waren, die lasen, jeder auf seine Art, so dass Watt und Knott erst recht schillernd wurden

So herausfordernd als Vorleser diese Kapitel waren, so nervig sie einem manchmal erschienen, einen gewissen Reiz bargen sie dann doch immer, denn dieses Durchdeklenieren von verschiedenen Möglichkeiten, der Auschluss von anderen Möglichkeiten vermittelte den Eindruck, als ob da jemand die Welt erklären wolle – und es auch schaffen würde. Bloß es war eben nur der Eindruck, denn wenn nach vier Seiten sich jetzt nur jeder der Kommissionsmitglieder zugenickt hatte war vollkommen klar, eine andere, eine weitere Variante wäre auch noch möglich. Und irgendwann machte es direkt Spaß einige Möglichkeiten dieser Welt vorlesen zu können in dem Bewußtsein, dass das nur der kleinste Ausschnitt war an Möglichkeiten – und zumindest ich begann darüber zu staunen, wie es Beckett gelang zumindest gedacht alle Möglichkeiten der Welt in den Roman zu ziehen.

Skurrilitäten gibt es auf der obersten Ebene im Text einige, allein wenn Watt sein Techtelmechtel mit der Fischerverkäuferin hat oder beschließt, rückwärts zu sprechen – der einzige, den ich kenne, der ob der Vielfältigkeit des Rückwärtssprechens nicht überrascht gewesen wäre, war Oskar Pastior – als Leser oder Zuhörer greift da eine Faszination.

Als Vorleser haben wir vorab die zu lesenden Seiten ‚geübt‘, da war beim Vorlesen selber keine Überraschung mehr zu ‚befürchten‘. Und dennoch gibt es Stellen, bei denen man dann an sich halten muss, um nicht einfach laut zu lachen. Ich hatte so eine. Watt denkt und diskutiert und plant und überlegt über Seiten bis ins letzte Detail, wie er in ein bestimmtes Zimmer kommen kann, jede Möglichkeit erscheint aussichtslos. Dann blättert man in meiner Ausgabe eine Seite um – und er steht im Zimmer und es gibt sogar die langdiskutierte Klingel, aber kaputt. Irritationsmomente, die auch zum Lachen sind, die aber auf der zweiten Ebene interessante Fragen stellen.

Auffallend zumindest für mich war der Eindruck, dass „Watt“ extrem bildlich ist. Das ist auch Henrike Taupitz zu verdanken, die zusammen mit Konstanze Liebelt jeweils die Einführung gestaltete und für das leibliche Wohl sorgten, als sie gegen Anfang mal bemerkt, man könnte diesen Roman doch auch mal verfilmen. Es gibt Szenen, da bin ich auf ihre Umsetzung mörderisch gespannt – und es gibt Szenen, die sind in meinem Kopf fertig (egal, wer wie gelesen hat).

Es git Texte, die man lieber vorliest als „Watt“, ohne jede Frage, aber es gibt nicht massenhaft Texte, bei denen man nach der Lesung gespannt ist, was denn die Zuhörer denken oder erfahren haben.

Und bei einer Tasse Tee oder einem Schluck Whisky lässt sich das trefflich diskutieren.

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