Von Florian Ehrich
Als einer der bedeutendsten Dramatiker seiner Zeit prägte August Strindberg entscheidend das moderne Theater. Der schwedische Dichter galt als unbarmherziger Wahrheitsfanatiker, der für sein Werk keine Indiskretionen über sich oder seine Mitmenschen scheute.
„Der ungeheure Strindberg. Diese Wut, diese im Faustkampf erworbenen Seiten …“
Franz Kafkas Tagebucheintrag offenbart die Wucht, die das Werk des Schweden bis heute auf seine Leser ausübt. Der manisch produktive August Strindberg – sein Gesamtwerk umfasst über 50 Bände – wird am 22. Januar 1849 in Stockholm geboren. Als junges Talent erlebt er erste Erfolge, doch 1872 wird sein ambitioniertes Schauspiel „Meister Olof“ zurückgewiesen. Strindberg schärft nun als Journalist seinen Stil und arbeitet als Hilfsbibliothekar an der Königlichen Bibliothek. 1877 heiratet der Bürgersohn die aus dem finnischen Adel stammende Siri von Essen. Die Ehe scheitert, und Strindberg schildert in dem Roman „Plädoyer eines Wahnsinnigen“ die zermürbenden Auseinandersetzungen:
„Könnte es denn nicht so sein, dass ich kein Wahnsinniger war, dass ich gar nicht krank, gar nicht degeneriert war? Könnte es sein, dass ich ganz einfach getäuscht worden war, getäuscht von einer geliebten Verführerin, deren kleine Stickschere Simson die Locken abschnitt, als er sein Haupt ausruhte, bedrückt von Mühsal und Sorge um sie und ihre Kinder? Leichtgläubig, ahnungslos hätte er während eines zehnjährigen Schlafes in den Armen der Zauberin seine Ehre, seine Mannbarkeit, seinen Lebenswillen, seine Intelligenz, seine fünf Sinne und was sonst noch alles verloren!“
Der Geschlechterkrieg und die trennenden Klassenschranken der Gesellschaft behandelt das Stück „Fräulein Julie“, dessen Vorrede ein wegweisendes Dokument des Naturalismus ist. Der Autor verbietet sich eine vordergründige ethische Tendenz und lässt seine Figuren als moderne, zerrissene Menschen auftreten:
„Meine Seelen sind Charaktere, sind Konglomerate von vergangenen Kulturgraden und Brocken der angehenden Zeit, welche aus Büchern und Zeitungen entlehnt wurden, Stücke von Menschen, abgerissene Fetzen von Feiertagskleidern, welche zu Lumpen geworden sind, ganz wie die Seele zusammengeflickt ist.“
Der unbarmherzige, auf erotischem und sozialen Terrain geführte Kampf zwischen dem Diener Jean und der Adligen Julie schockiert die Zeitgenossen und kann in Schweden erst im Jahre 1906, 17 Jahre nach der Entstehung, aufgeführt werden.
O-Ton aus „Fräulein Julie“:
Julie: „Glauben Sie denn, ich bliebe hier unter diesem Dach als Ihre Maitresse? Dass die Leute mit Fingern auf mich zeigen? Denken Sie, ich könnte meinem Vater jetzt noch in die Augen sehen? Mein Gott, was habe ich getan?“
Jean: „Hören Sie auf mit der Heulerei, was Sie getan haben? Genau dasselbe wie so manch eine vor Ihnen auch!“
Julie: „Und nun verachten Sie mich! Was war es denn, diese furchtbare Nacht, die mich zu Ihnen trieb? War es Liebe? Dies soll die Liebe gewesen sein? Wissen Sie überhaupt, was Liebe ist?“
1895, nach dem Scheitern seiner zweiten Ehe mit Frida Uhl, gerät der labile Dichter, der sich auch intensiv mit Alchemie, Malerei und Naturwissenschaft beschäftigt, in Paris in seine sogenannte „Infernokrise“. Die seelische Zerrüttung könnte nach seinem Biografen Peter Schütze auch das Ergebnis rücksichtsloser Experimente mit der eigenen Psyche gewesen sein:
„Es ist durchaus glaubhaft, dass Strindberg begonnen hat, nicht nur die chemischen Strukturen von Jod, Schwefel und Gold zu untersuchen, sondern Experimente mit sich selbst anzustellen. Das würde bedeuten, dass sein neugieriges Operieren mit der psychischen Verarbeitung realer und eingebildeter Vorkommnisse, die Erregungszustände und das krankhafte Verhalten erst hervorgerufen – und kultiviert – hat.“
Die Krise gebiert eine neue Ästhetik, die von mystischer Erfahrung, religiöser Inbrunst und Traumlandschaften geprägt ist. Spätere Theaterstücke wie das „Traumspiel“ oder „Nach Damaskus“ sind Visionen einer Suche nach Erfüllung und Sinn. Ihre Bedeutung für das moderne Schauspiel erklärt die Theaterwissenschaftlerin Michaela Giese:
„Darin liegt auch das entscheidend Neue von Strindberg, er geht in den Kopf gleichsam hinein, um das, was sich im Kopf oder eben im Traum abspielt, nun auf die Bühne zu bringen.“
August Strindberg starb am 14. Mai 1912 in Stockholm.
Quelle: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/kalenderblatt/1750816/