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Lesen.Hören: Am kommenden Samstag beginnt das sechste Mannheimer Literaturfest / Auftakt in der Christuskirche

Von  Thomas Groß

Um zu beweisen, dass Festivals auch in Sachen Literatur eine hohe Attraktivität besitzen, muss man nicht zur lit.cologne nach Köln oder zu „Leipzig liest“ rund um die Buchmesse reisen. Es genügt, vor die eigene Haustür zu treten. Dort lädt von 25. Februar bis 11. März bereits zum sechsten Mal das Mannheimer Literaturfest Lesen.Hören ein, verspricht anregende Entdeckungen ebenso wie Lesungen von Autoren, deren Werk man kennt, die man aber auch daraus lesen – und zudem darüber sprechen – hören möchte. Im Mai gibt es dann Ähnliches auch wieder in Heidelberg zu erleben.

Warum der quantifizierbare Kunst- und Kulturgenuss insgesamt nicht wächst, solche Festivals sich aber einer noch immer steigenden Beliebtheit erfreuen? Vielleicht hilft außer der Einsicht, dass der Mensch nun mal ein Gemeinschaftswesen ist, auch ein Blick auf die Tradition weiter. Der Heidelberger Philosoph Hans-Georg Gadamer hob deren Bedeutung zeitlebens gegen jene hervor, die auf zeitgemäße Trenddiagnosen aus sind. Entsprechend deutete er in einem wohlformulierten, knappen und anregenden Buch die Kunst recht traditionell – als Spiel, Symbol und Fest. Weil Kunst überhaupt, und eben auch Literatur, Symbolwert besitzt, weil sie bedeutsam ist – deshalb spricht sie an. Als spielerisch mag ihre Auseinandersetzung mit Wirklichem, der Zeitgeschichte, überhaupt mit ihrem Material gelten. Im Falle von Lesen.Hören könn(t)en auch die moderierten Gespräche mit den Autoren nach der Lesung entsprechenden Charakter haben und anregend wirken. Und wie es sich mit dem Festcharakter der Kunst verhält, versteht sich von selbst, wenn die Veranstaltung zu Recht den Namen „Literaturfest“ oder „Festival“ trägt.

Deutlicher als sonst tritt dieser Charakter nun in Mannheim hervor: Die Eröffnung findet am 25. Februar nicht im angestammten Veranstaltungsort Alte Feuerwache statt, sondern in der Christuskirche. Im Mittelpunkt steht, außer Roger Willemsen und Schauspieler Matthias Brandt, eine hochsymbolische Figur, der alttestamentarische Hiob, dem Willemsen ein Buch gewidmet hat („Hiob – Das müde Glück“). Deshalb erscheint es auch unabhängig von der Prominenz der Mitwirkenden folgerichtig, dass die Veranstalter an diesem Abend mit 1000 Gästen rechnen.

Der Weg in die Stadt

Bücher pflegen für sich selbst zu sprechen und zu jedem auf je eigene Weise, dennoch hat eine verständige Vermittlung, die den Sinn- und Symbolwert nicht strikt vorgibt, seit langem einen festen Platz an ihrer Seite – in den Medien, Buchhandlungen oder eben Veranstaltungshäusern. Das Literaturfest vertraut dieses Jahr darauf, dass die Örtlichkeit zur Wahrnehmung besonders beitragen kann – und sucht gewissermaßen den Weg in die Stadt: Deshalb ist man zweimal zu Gast im Nationaltheater – auch dies ein Ort, der traditionell für Festliches steht -, und gelegentlich auch im Schloss, in Hörsälen der Universität. Was noch die symbolische Größe und Weite angeht: Das thematische Spektrum umfasst in diesem Jahr neben dem erwähnten Hiob noch eine weitere biblische, wahrlich überragende Gestalt: Jesus. Von den Säulenheiligen der Moderne sind Alfred Döblin und Samuel Beckett gleichsam zu Gast – bei Veranstaltungen, die sich um ihre Werke drehen. Und hochsymbolisch ist nicht zuletzt das Geld, dem sich ebenfalls ein Themenabend widmet. Es geht um Vergangenes und dessen Aktualität, etwa um die DDR, von der Eugen Ruge erzählt, oder um Leben und Werk des Philosophen Hans Blumenberg, um das herum Sibylle Lewitscharoff einen buchstäblich fantastischen Roman gestrickt hat. Es geht aber auch um Zukunft – etwa in Gestalt der jungen Autorinnen Antonia Baum und Lisa-Maria Seydlitz oder sozialpsychologischen Erwägungen über die Zeitform Futur II.

Der Erweiterung der Örtlichkeiten entspricht eine thematische – gesellschaftspolitische Fragen scheinen eine größere Rolle zu spielen; auch wenn Gregor Gysi seine Lieblingsbücher vorstellt, darf man solches wohl erwarten. Ob es das Publikum zu schätzen weiß? Zu jeglichem Fest lädt man ohne echte Gewähr für zahlreiches Erscheinen von Gästen ein. Räume zu öffnen, ist jedenfalls eine vielversprechende Angelegenheit. Das ist in Sachen Festival nicht anders als im Falle der Literatur.

Quelle:

http://www.morgenweb.de/nachrichten/kultur/20120222_mmm0000002891760.html

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