Das Untier. Konturen einer Philosophie der Menschenflucht

„Geh hin ihn ausrotten.“ (Hamm im Endspiel)

Und Hamm an anderer Stelle: „Let him have it. ((…)) Humanity might start from there all over again! Catch him for the love of god.“

Im ersten Zitat ist ein Knabe gemeint, den Clov in der Ferne erblickt, als er aus dem Fenster schaut; im zweiten ein Floh, den Hamm an sich selbst entdeckt.

Diesen Zitaten zufolge ist Hamm der Meinung, die Menschheit ist der große Fehler der Schöpfung Gottes*.

Und dieser Meinung ist auch:

Prof. Dr. Ulrich Horstmann

in seinem Buch:

Das Untier. Konturen einer Philosophie der Menschenflucht

Verlag: Manuscriptum / Hrsg. J. Hoof (2004)

ISBN-13: 978-3-936345-47-6

Diese Streitschrift erschien erstmals 1983 bei Medusa Verlagsgesellschaft, Berlin/Wien, dann ab 1985 – 2003 als Suhrkamp-Taschenbuch in mehreren Auflagen.

Nur schwer wird man sich enthalten können, den Autor als Ketzer und seine Thesen als blasphemisch zu brandmarken. Gilt ihm doch das Leben der menschlichen Gattung nicht nur nicht mehr als erhaltenswert, sondern ihm erscheint die menschenleere, vermoderte Welt auch als überaus wünschbar. Er plädiert offen und ohne jede Ironie für die unwiderrufliche Abschaffung des Menschen.

Snd Ist das Buch also eine abstruse Spinnerei? ..eine befremdliche Provokation ? …oder Satire? Ulrich Hofmann selbst nennt es „Eventualitätsphilosophie“. Das Buch ist eine einzige Reibefläche des NEINS! Sein Anliegen ist es, auf die Gefährlichkeit und Monstrosität dessen, was sich in unserem Hinterstübchen im Kopf abspielt, aufzuzeigen. Ich las es vor etwa 6/7 Jahren zum ersten Mal und empfand es als eine echte Herausforderung inmitten einem Wechselbad von Gefühlen und Stimmungen. Daran hat sich auch bei nochmaligem Lesen vor vier Wochen nichts geändert.

Das Buch hat eine lyrischer Kraft, dem sich wohl kaum ein Mensch entziehen kann. Wahrlich ein Leckerbissen, wenn – ja wenn man bereit ist, sich mit dem Stachel, den Ulrich Horstmann vehement in Fleisch und Kopf treibt, kritisch und (selbst)reflektierend auseinander zu setzen. Als Voraussetzung sollte man die eigenen festgefahrenen Denkbarrieren eigener Wahrnehmung und Vorstellung überschreiten und dort weiterdenken, wo man üblicherweise aufhört.

Ulrich Horstmann im Gespräch mit Robert Jungk / Moderation: Franz Kreuzer. Reihe „Disputationes“, ORF 30.1.1991 – hier bitte klicken

Und hier:

http://www.kritisches-netzwerk.de/forum/das-untier-konturen-einer-philosophie-der-menschenflucht-ulrich-horstmann

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*>>Zurück zur Schöpfungskritik, die Beckett seinen Akteuren Hamm und Clov in den Mund legt. Diese leben in einer bunkerähnlichen Behausung, in der sich zwei hoch gelegene Fenster befinden, die nur über eine Leiter erreichbar sind. So erfahren wir als Zuschauer – ähnlich wie Hamm selbst, der ja bekanntlich in einem Rollstuhl sitzt und blind ist -, so wir erfahren durch Hamms Diener Clov, der ab und zu auf diese Leiter steigt, um nach draußen zu schauen, daß es keine Natur mehr gibt, daß die Welt grau geworden ist, so grau wie Blei.

Die Natur ist gänzlich verschwunden. Oder doch nicht ganz? Hamm muss sich plötzlich kratzen; er hat das Gefühl, gebissen worden zu sein, und fragt sich deshalb, ob es wohl noch Flöhe gibt. Wenn ja, dann wäre das eine Katastrophe, denn die Menschheit, die Evolution könnte dann von vorn beginnen. Und so ruft er Clov zu: >>Catch him, for the love of God. (…) let him have it.<< Mach ihn alle.

Gegen Ende des Stücks droht erneut die Gefahr, daß nach dem Tod von Hamm und Clov, Nell und Nagg, den Elterns Hamms, die in den Mülltonnen hausen, daß nach ihrer aller Tod das Leben weitergeht. Clov steht auf der Leiter und schaut mit einem Fernrohr nach draußen: >>Let’s see.<< Er sucht mit dem Telescope die Außenwelt ab, genauer gesagt, das, was von ihr übrig ist: >>Nothing …. nothing ….good … good ….nothing …goo—- <<

Clov fängt an, das Telescope zu untersuchen, so als wäre in diesem eine Sinnestäuschung eingebaut:

>>Bad luck to it!<<

Hamm: >>More complications!<<

Clov entsetzt: >>Looks like a small boy!<<

Hamm sarkastisch: >>A small …. boy!<<

Clov: >>Ich gehe nach draußen um nachzusehen. Ich nehme den Fleischerhaken.<<

>>I’ll take the gaff.<<

Meiner Erinnerung nach soll es in der frühen Fassung des Stücks geheißen haben: Geh hin, ihn ausrotten. – Und Beckett soll diese Formulierung später gestrichen haben.<<

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