Auf der Suche nach dem Punkt – Samuel Becketts Romantrilogie “Molloy”,”Malone stirbt”,”Der Namenlose”

Becketts Apor(e)tik

von Nicole Bengeser

Aporetik kommt aus dem griechischen aporētikē und bedeutet zu deutsch „zum Zweifeln geneigt“. Zweifel klingt in Beckett’s Romanen selten nach dem, was ein Leser unter einem Zweifel versteht. In dem Roman „Molloy“ werden die meisten Beobachtungen durch eine nachfolgende, fast beiläufig fallen gelassene Bemerkung negiert. Molloy sagt selten etwas, woraus hervorgeht, dass er sich dessen sicher ist. Meistens handelt es sich um Dinge, die ihn selbst betreffen, wie zu Beginn des Romans, als er dem Leser erklärt, dass er sich im Zimmer seiner Mutter befindet und sich nicht erklären kann, wie er dorthin gelangen konnte. Er sagt: „Man hat mir geholfen. Allein hätte ich es nicht geschafft.“1
Ein häufiges Wort ist das Adverb „vielleicht“, das oft nach solchen Aussagen steht. Dieses „vielleicht“ findet sich in „Molloy“, „Malone stirbt“ und in „Der Namenlose“, wobei es in seiner Verwendung keinen merklichen Unterschied zu geben scheint. Es gibt das „vielleicht“ zu Beginn des Satzes wie: „Vielleicht habe ich es diesem Mann, der jede Woche erscheint zu verdanken, daß ich hier bin“2. Und das „vielleicht“, das in der Mitte eines Satzes steht: „Es fehlt mir nur noch ein Sohn. Irgendwo habe ich vielleicht einen.“3 (Molloy) In gleicher Weise findet sich das „vielleicht“ bei „Malone stirbt“ und in „Der Namenlose“:
„Vielleicht habe ich nicht die Zeit fertig zu werden.“4 (Malone stirbt)
„Mein Körper ist, was man vielleicht leichthin gebrechlich nennt.“5 (Malone stirbt)
„Vielleicht ist Molloy gar nicht hier.“6 (Der Namenlose)
„Es geht nichts über Streitfragen. Hier wären mehrere, vielleicht nur eine.“7 (Der Namenlose)
Die Sätze die so aufgebaut sind, können einzeln betrachtet aus einem beliebigen der drei Romane stammen. Die nüchterne Färbung ist ein Stilmittel, das sich durch alle drei Bücher zieht.
Dieses „vielleicht“ bricht die Erzähl-Struktur auf. Der Leser muss sich mit Mutmaßungen der Romanfiguren auseinandersetzen. Die Gedanken bleiben nicht auf eine Sache fixiert. Etwas wird dargestellt, betrachtet, verworfen, neu dargestellt, betrachtet, um erneut verworfen zu werden: „Aber sie kannten einander vielleicht. Wie es auch sei, jetzt kennen sie sich(…)8 Um solche Vermutungen zu unterstreichen und auszuführen, bilden negierende Phrasen wie „Ich weiß nicht“, „ich glaube nicht“ Wiederholungen, die ein Erzählnetz spinnen, das die Romane, zumindest streckenweise, in den gleichen Erzählton tauchen. Häufig findet sich auch „mir scheint“. Selten ist eine Sache ganz sicher, eine Landschaft konkret beschrieben. Die Figuren aus den drei Romanen ähneln sich, in ihrem Tun, in ihrem Wesen und insbesondere in der Art, wie sie Dinge beschreiben. Die Ich-Perspektive bietet genügend Raum für die Charaktere, ihre Gedanken darzulegen. Kann man dieses Sprechen als Spirale beschreiben? Der Leser, der versucht zu folgen, wird durch die Redeart der Figuren ständig zurückgeworfen. Gibt es einen erkennbaren Fortschritt? Es gibt einen Beginn und einen Schluss. Wobei der Beginn bei keinem der Romane den wahren Anfang darstellt. Jede Figur erinnert sich an den Anfang, der sie dazu gezwungen hat, diesen oder jenen Weg zu gehen. Die Sätze bieten keine sicheren Informationen mehr. Sie sind aus dem Kontext gerissen und können von ihren Sprechern mit Willkür zum Erzählen genutzt werden. Wenn es sich um konkrete Handlungen dreht, erscheinen diese wie Inseln außerhalb des Gedankengeflechts der Romanprotagonisten. Es gibt Handlung, aber diese bietet keine Richtung an, in die sich der Leser hinein denken könnte.
Das Schreiben bietet den Figuren einen Weg an, um sich auszudrücken. Es verselbstständigt sich dadurch, dass die fiktive Figur damit spielt (bewusst oder unbewusst) dass sie fiktiv ist und sich in erfundenen Welten bewegt, wie in dem Satz: „Dann ging ich in das Haus zurück und schrieb: „Es ist Mitternacht. Der Regen peitscht gegen die Scheiben.“ Es war nicht Mitternacht. Es regnete nicht.“9 Das was gelesen wird, verliert sich im virtuellen Raum. Die Worte demaskieren ihre Unwahrheit selbst. Ist es kompliziert zu behaupten, dass sich dieser Akt des Erschaffens im Erschaffenen selbst verliert? Passend dazu findet sich bei Beckett die Aporie: „Ich bin ja schon wieder in meinen alten Aporien. Sind es überhaupt Aporien? Echte Aporien? Ich weiß nicht.“ 10(Malone stirbt)
Befindet sich der Leser in der Aporie von Becketts Romanen? Aporie kommt ebenfalls aus dem griechischen und bedeutet Ausweglosigkeit. Die Aporie ist vielfältig konnotiert. Bei Sokrates führte die Aporie als methodischer Ausgangspunkt dazu, den Gesprächspartner zur Einsicht in seine Unwissenheit zu führen und damit den Weg für die Suche nach begründetem Wissen frei zu machen.11 In der Skepsis ist das argumentative Endziel, beide Darstellungen als gleichstark aufzuzeigen um eine Urteilsenthaltung herbeizuführen. Daraus solle Seelenruhe entstehen.12
Die Ausweglosigkeit findet sich in den scheinbar endlosen Sätzen, die sich durch Kommas getrennt über mehrere Seiten erstrecken können. Wenn er Kommas setzt, dann wie um das Ende zu vermeiden. Wird damit die Ausweglosigkeit unterstrichen oder kann man Ausweglosigkeit mit einem Ende gleich setzen? Gibt es keinen Ausweg für die Figuren und für den Leser?
Becketts Figuren scheinen zu wissen, dass sie auf nichts zusteuern. Der Leser kann das Buch immerhin zur Seite legen. „Molloy“, „Malone stirbt“ und „Der Namenlose“ spielen mit den Unsicherheiten ihrer eigenen Wahrnehmung und der des Lesers. Spielt es eine Rolle, was sie sagen? Der Lesende folgt und wird doch verfolgt. Es gibt keinen derart offenen Zweifel. Die Aporetik findet sich auf jeder Seite. Becketts Figuren sind „zum Zweifeln geneigt“. Ein Scherz: Wenn bewusst von Zweifel gesprochen wird, dann nur wenn keiner da ist „ohne Zweifel.“ Ist der Zweifel nicht die letzte Sicherheit, die wir haben, um einer Sache ihre Vollständigkeit zu berauben?
So schließe ich mit einem Zitat von Mahood:
„Kann man anders als unbewußt zweiflerisch sein?“ Samuel Beckett würde auf diese Frage, die ja im Grunde seine eigene ist, vielleicht sagen: „Ich weiß nicht“.

Quelle:

http://klappentexte.wordpress.com/2012/03/12/auf-der-suche-nach-dem-punkt-samuel-becketts-romantrilogie-molloymalone-stirbtder-namenlose/

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