Als er 1905 nach Berlin zog, hoffte der junge Schweizer Schriftsteller Robert Walser, hier den literarischen Durchbruch zu erreichen. Wo sonst würde sich der geeignete Verlag und vor allem das enthusiastische Publikum finden lassen?
Walser erlebte in Berlin seine produktivste Zeit. Hier erschienen seine nächsten beiden Romane Der Gehülfe und Jacob von Gunten. Doch fühlte sich der versponnene Dichter nicht wohl unter all den eitlen Künstlern und Schriftstellern. Deprimiert kehrte er 1912 in die Schweiz zurück.
Ich bilde mir ein, dass Berlin die Stadt sei, die mich entweder stürzen und verderben oder wachsen und gedeihen sehen soll. Eine Stadt, wo der raue, böse Lebenskampf regiert, habe ich nötig…
Robert Walser
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http://www.atelierfischer-berlin.de/wegmarken/14-inhaltsseiten/99
Ein Essay über Robert Walser findet sich hier:
ZITATOR: „Stehen Sie sogleich ab von dem Wunsch, meine Bekanntschaft zu machen. … Ich müßte Ihnen gegenüber die notwendige … (Höflichkeit) hervorkehren; und das eben möchte ich vermeiden, da ich weiß, daß artiges und manierliches Betragen mich nicht kleidet.“
SPRECHER: Ein angesehener und wohlhabender Literaturkritiker, der so berühmt war, daß man im Lande glaubte, außer ihm gäbe es keinen anderen mehr, hatte den Roman eines bislang unbekannten Schriftstellers gelesen, denn Lesen war sein Beruf. Das Buch gefiel ihm, und so schrieb er dem Dichter, daß er sich gern mit ihm treffen würde. Schon wenige Tage später erhielt der Prominente diese Antwort.
ZITATOR: „Wer sich so feiner und schöner Ausdrücke bedient wie Sie, wohnt sicher … (in einer eleganten Villa im teuersten Viertel der Stadt). Ich aber bin nur Mensch auf der Straße … und in meinem eigenen Zimmer. … Sie sehen, ich bin offenherzig. Sie sind … ein wohlhabender Mann und lassen wohlhabende Worte fallen. Ich dagegen bin arm, und alles, was ich spreche, klingt nach Ärmlichkeit. … Ich wohne in einem wüsten, alten Haus, in einer Art von Ruine. … (D)as macht mich glücklich. … Ein … gewisse(s) … (Maß) von Verwahrlosung, von Verlotterung und von Zerrissenheit muß um mich sein: sonst ist mir das Atmen eine Pein. Das Leben würde mir zur Qual, wenn ich fein, vortrefflich und elegant sein sollte. …. Warum (also) sollte ich sein, was ich nicht bin, und nicht sein, was ich bin.“
SPRECHER: Dieser Text, 1914 veröffentlicht, stammt von dem damals 35jährigen Schweizer Schriftsteller Robert Walser; dieser Text ist Programm: Schreib und Lebensprogramm.
Der Künstler charakterisiert sich selbst als einen Menschen, der es um seiner literarischen Produktion willen, die ihm so gut wie nichts einbringt, vorzieht, in ärmlichen Verhältnissen zu leben; auch innerhalb der Kunst und Kulturwelt grenzt er sich mit großer Entschiedenheit von jener Sphäre ab, in der die akademisch Gebildeten, die weltgewandten, bürgerlichen Intellektuellen zu Hause sind: die gut verdienenden Professoren der geisteswissenschaftlichen Fakultäten, die eloquenten Chefredakteure der Feuilletons großer Zeitungen, die Kulturunternehmer, die Direktoren der Buchverlage, die Schriftstellerkollegen, die aus großbürgerlichen Verhältnissen stammen. Walser distanziert sich nicht von ihrer Bildung, sondern von ihrem Dünkel, den sie gleichzeitig mit dieser Bildung erworben haben; er distanziert sich von ihrer Unehrlichkeit, genauer gesagt davon, daß das erworbene Wissen nicht der Wahrhaftigkeit dient, sondern dazu benutzt wird, noch geschickter täuschen und lügen zu können.
ZITATOR: „Niemand sagt die Wahrheit (…) in den Kreisen, die in der Welt den Ton angeben. – Vielleicht ist dort ein wahres Wort schon deshalb unmöglich, weil die(se) Leute zu klug sind (…).“
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